Gideon Crew 01 - Mission - Spiel auf Zeit
wie der schlingernde Bus einen Pkw auf der gegenüberliegenden Seite der Kreuzung rammte und auf der Seite zum Liegen kam, während gleichzeitig Flammen aus dem Motor emporschossen. Die Fenster und die Hecktür wurden von schreienden Menschen aufgestoßen, und dann strömten sie heraus, stürzten auf das Pflaster, stiegen und traten übereinander hinweg, um dem Unfallort zu entfliehen.
Gideon blickte sich hektisch nach dem Navigator um. Da entdeckte er ihn – er stand einen halben Häuserblock entfernt. Aber der Geländewagen blieb nur einen Augenblick lang stehen, dann raste er unter lautem Röhren die 116. hinunter, bog Richtung Süden in die Second Avenue und verschwand.
Gideon sprintete über die Kreuzung zum Taxi. Es lag auf dem Dach, die Motorhaube ragte teilweise ins Restaurant. Überall menschliche Leiber, manche bewegten sich, andere lagen reglos da. Benzin, ein dunkler Strom, floss auf den Bürgersteig, den Rinnstein hinunter, auf den brennenden Bus zu – der mit lautem Knall explodierte und in die Luft gehoben wurde. Die Flammen schossen empor, ein, zwei, drei Stockwerke hoch, und tauchten diese Höllenszenerie in grelles, gespenstisches Licht. Hunderte Menschen in den umgebenden Gebäuden öffneten Fenster, reckten Hälse, deuteten. Die Luft war von Lärm erfüllt: Schreie und Ausrufe, Hilferufe, lautes Wehklagen, das endlose Hupen des Busses, das Knistern der Flammen. Gideon hatte große Mühe, einen klaren Kopf zu behalten.
Er ließ sich auf Hände und Knie fallen und spähte in das Wrack des Taxis. Die Fahrerseite war vollständig zerstört, und er erhaschte einen Blick auf den Taxifahrer, der von all dem Metall und Glas zerquetscht worden war. Gideon lief um das Taxi herum zur Beifahrerseite – und da war Wu, auf dem Rücksitz. Er lebte, hatte die Augen weit aufgerissen, bewegte die Lippen. Als er Gideon erblickte, streckte er die blutige Hand nach ihm aus.
Gideon packte den Türgriff, versuchte, die Tür zu öffnen. Doch die war dafür viel zu verbogen. Gideon legte sich auf den Bauch, streckte die Hände durch die zerbrochene Scheibe und packte Wu an beiden Armen. So sanft er konnte, zog er ihn aus dem Taxi auf den Bürgersteig. Wus Beine waren entsetzlich zerquetscht und bluteten stark. Halb zog, halb trug er Wu aus dem sich ausbreitenden Flammenmeer, fand eine geschützte Stelle hinter einer Hausecke und legte ihn behutsam ab. Er holte sein Handy hervor und wählte den Notruf, aber da hörte er schon durch die Kakophonie hindurch die Einsatzwagen, die unter lautem Sirenengeheul aus allen Richtungen zum Unfallort eilten.
Vage wurde Gideon sich einer großen Menschenansammlung bewusst, neugierige Passanten, die in sicherer Entfernung stehen blieben und die sich entfaltende Katastrophe mit morbider Faszination verfolgten.
Plötzlich packte Wu Gideon mit seiner blutigen Hand, wobei er den Stoff von Gideons Chauffeuruniform in der Faust zerknüllte. In seinem Blick lag ein ratloser, verwirrter Ausdruck, so als wisse er nicht, was ihm eben widerfahren war. Er stieß keuchend ein Wort hervor.
»Wie bitte?« Gideon beugte sich hinunter und presste sein Ohr fast auf die Lippen des Wissenschaftlers.
»Roger?«, flüsterte Wu mit starkem Akzent. »Roger?«
»Ja.« Gideon überlegte rasch. »Ich bin’s, Roger.«
Wu sagte irgendwas auf Chinesisch, dann wechselte er zurück ins Englische. »Schreiben Sie die folgenden Zahlen auf. Acht sieben eins null fünf null …«
»Warten Sie.« Gideon kramte in seinen Taschen, holte einen Bleistift und einen Zettel hervor. »Noch mal von vorn.«
Wu sagte röchelnd eine Zahlenreihe auf, die Gideon aufschrieb. Wu hatte einen starken Akzent, aber seine Aussprache war klar, präzise, penibel, die Stimme eines Wissenschaftlers.
87105003302201047836415600221120519715013
51010017503362992421140099170520090080070
04003500278100650576384370325300005844092
060001001001001
Er hielt inne.
»Sind das alle?«, fragte Gideon.
Ein Nicken. Wu schloss die Augen. »Sie wissen, was Sie damit tun müssen«, stieß er rauh hervor.
»Nein. Sagen Sie es mir …«
Aber Wu hatte das Bewusstsein verloren.
Gideon stand auf. Er war benommen und ratlos. Auf seiner Jacke und den Ärmeln hatte er Flecken vom Blut des Wissenschaftlers. Endlich trafen die Feuerwehren und Einsatzwagen der Polizei ein und sperrten die Straße ab. Der Bus stand immer noch in Flammen, Wolken eines beißenden dunklen Qualms stiegen in die Nachtluft.
»Oh, mein Gott!«, rief eine Frau neben Gideon,
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