Gideon Crew 02 - Countdown - Jede Sekunde zählt
Van war es ruhig geworden. Jetzt hörten alle wie gebannt zu. Gideon beschlich ein Gefühl des Entsetzens. Was Fordyce gesagt hatte, klang irgendwie plausibel. Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr wurde ihm klar, dass der Mann vermutlich recht hatte. Chalker hatte wirklich die entsprechende Persönlichkeit. Er war genau die Art unsichere, verwirrte Person, die ihre Berufung in einem Dschihad findet. Und es gab keine andere Möglichkeit, die starke Dosis Gammastrahlen zu erklären, der er ausgesetzt gewesen sein musste, um so radioaktiv geworden zu sein.
»Wir sollten den Tatsachen ins Auge blicken«, sagte Fordyce, während der Van das Tempo drosselte. »Der ultimative Alptraum ist wahr geworden. Islamistische Terroristen haben sich eine Atombombe besorgt.«
8
D ie Türen des Vans öffneten sich, und vor ihnen lag ein unterirdischer, garagenähnlicher Raum, in den sie durch einen mit Kunststoff ausgekleideten Tunnelgang getrieben wurden. Gideon, der wusste, dass ihre radioaktive Kontamination vermutlich zweitrangig und ziemlich gering war, kam das alles des Guten zu viel vor; die Maßnahme war eher dazu geeignet, irgendeine bürokratische Vorschrift einzuhalten als sonst etwas.
Sie wurden in einen Hightech-Warteraum gedrängt, in dem alles aus Chrom und Emaille und Edelstahl bestand und an allen Wänden Monitore und Computerdisplays blinkten. Alles war neu und offensichtlich noch nie benutzt worden. Sie wurden nach Geschlechtern getrennt, entkleidet, dreimal geduscht, gründlich untersucht, gebeten, Blutproben abzugeben, bekamen Spritzen, wurden mit sauberer Kleidung ausgestattet, nochmals getestet und durften dann schließlich einen zweiten Warteraum betreten.
Dieser war eine erstaunliche unterirdische Einrichtung, nagelneu und auf der Höhe der Zeit, also zweifellos nach dem elften September gebaut, als Maßnahme für den Fall eines radioaktiven Terrorangriffs auf die Stadt. Gideon erkannte verschiedene Geräte zum Testen und Dekontaminieren von Radioaktivität, wohl Neuentwicklungen, wie sie ihm in Los Alamos noch nicht begegnet waren. So außergewöhnlich der Ort war, so wenig wunderte sich Gideon: New York brauchte mit Sicherheit ein großes Dekontaminationszentrum wie dieses.
Ein Wissenschaftler betrat lächelnd den Warteraum, er trug einen normalen weißen Laborkittel. Er war die erste Person, mit der sie Kontakt hatten, die keinen Schutzanzug trug. Begleitet wurde er von einem kleinen, düster wirkenden Mann in dunklem Anzug, der trotz seiner geringen Körpergröße Macht zu verkörpern schien. Gideon erkannte ihn auf der Stelle: Das war Myron Dart, Vizedirektor von Los Alamos, als Gideon dort zu arbeiten angefangen hatte. Dart war von Los Alamos zu irgendeiner Regierungsbehörde versetzt worden. Gideon hatte ihn nicht gut gekannt, aber er war ihm stets kompetent und fair erschienen. Er fragte sich, wie Dart wohl mit diesem Notfall umgehen würde.
Der heitere Wissenschaftler ergriff das Wort. »Ich bin Dr. Berk, und Sie sind jetzt alle dekontaminiert«, sagte er und lächelte sie an, als hätten sie gerade ein Examen bestanden. »Wir werden Sie einzeln beraten, danach sind Sie frei, Ihr ganz normales Leben wieder aufzunehmen.«
»Wie stark war die Strahlenbelastung?«, fragte Hammersmith.
»Sehr gering. Der Berater wird mit jeder Person seine oder ihre tatsächlichen Strahlenwerte besprechen. Die Strahlenbelastung des Geiselnehmers ereignete sich woanders, nicht vor Ort, zudem unterscheiden sich Strahlenbelastungen von Erkältungen. Man kann sich damit nicht bei jemandem anstecken.«
Jetzt trat Dart vor. Er war älter, als Gideon ihn in Erinnerung hatte, das Gesicht lang und schmal, mit Hängeschultern. Seine Garderobe war wie üblich tadellos: grauer Anzug mit dezenten Nadelstreifen, sehr gute Passform, wobei ihm die lavendelfarbene Seidenkrawatte allerdings ein unerwartet modisches Aussehen verlieh. Er verströmte große Selbstsicherheit. »Mein Name ist Dr. Myron Dart, ich bin der Leiter des Nuclear Emergency Support Teams, kurz NEST. Es gibt da etwas sehr Wichtiges, was ich Ihnen allen sagen muss.« Dart verschränkte die Hände hinter dem Rücken; mit seinen grauen Augen musterte er die Gruppe, langsam und bewusst, so als wolle er gleich mit jedem Einzelnen sprechen. »Bisher ist die Nachricht, dass es sich hier um einen Atomunfall handelt, noch nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Sie können sich die Panik sicherlich vorstellen, wenn es dazu käme. Jeder von Ihnen muss absolutes
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