Gideon Crew 02 - Countdown - Jede Sekunde zählt
John Steuart Curry mit dem Titel Held der Prärie, und stahl das Kunstwerk.
Ein Kinderspiel.
Die Lithographie stammte aus einer Auflage von zweihundertfünfzig Blättern, deshalb war die Herkunft nicht zurückzuverfolgen. Auf dem offiziellen Markt war sie leicht zu verkaufen. Das Internet entstand gerade, was die Sache sehr viel leichter und anonymer machte. Gideon bekam achthundert Dollar für den Druck, und damit kam seine Karriere als Dieb – spezialisiert auf Kulturvereine und kleine Kunstmuseen – ins Rollen. Seine Mutter musste sich nie mehr wegen der Miete Sorgen machen. Er erfand vage Geschichten über Gelegenheitsjobs und dass er nach der Schule aushalf, und sie war zu benebelt und verzweifelt, um sich zu fragen, woher das Geld tatsächlich stammte.
Er stahl wegen des Geldes. Er stahl, weil er bestimmte Bilder liebte. Doch vor allem stahl er wegen des Nervenkitzels. Das Stehlen erzeugte ein Hochgefühl wie nichts sonst, ein Gefühl des Selbstwerts, des Schwebens über der engstirnigen, stupiden und bornierten Masse.
Er wusste, dass es keine noblen Gefühle waren, aber die Welt war ohnehin ein idiotischer Ort, warum also nicht die Regeln verletzen? Er schadete schließlich niemandem. Er kam sich vor wie Robin Hood, weil er Kunstwerke, die nicht genug geschätzt wurden, stahl und dafür sorgte, dass sie in die Hände von Menschen kamen, die sie wahrhaft liebten. Später dann ging er aufs College, schmiss schon bald das Studium und zog nach Kalifornien, wo er schließlich eine Vollzeitbeschäftigung daraus machte, kleine Museen, Büchereien und Kulturvereine heimzusuchen, zu verkaufen, was er musste, und den Rest zu behalten.
Und dann erhielt er den Anruf: Seine Mutter lag im Sterben, in einem Krankenhaus in Washington, D. C. Er fuhr zu ihr. Und auf dem Sterbebett erzählte sie ihm, dass sein Vater eben nicht für den Zusammenbruch des kryptologischen Sicherheitssystems verantwortlich gewesen war. Ganz im Gegenteil, er hatte auf die Mängel hingewiesen und war ignoriert worden. Doch als die Sache schiefging, hatte man ihm die Schuld gegeben. Ausgerechnet der General, der das Projekt leitete, hatte ihm die Sache angehängt – der gleiche General, der später den Befehl gab, ihn zu erschießen, gerade als sich sein Vater ergeben hatte.
Er war erst zum Sündenbock gemacht und dann ermordet worden.
Als Gideon das erfuhr, änderte er sein Leben. Zum ersten Mal hatte er ein richtiges Ziel, ein lohnendes Ziel. Er raffte sich auf, ging wieder zurück zur Uni, machte seinen Doktor in Physik und nahm eine Stelle in Los Alamos an. Doch die ganze Zeit hatte er – im Hindergrund, wie der brummende Dauerton eines Dudelsacks – eine Suche durchgeführt, die Suche nach dem Beweis, den er brauchte, um den Namen seines Vaters reinzuwaschen und Vergeltung zu üben an dem General, der den Mord befohlen hatte.
Es hatte Jahre gedauert, doch am Ende hatte Gideon gefunden, was er brauchte, und hatte sich gerächt. Der General war inzwischen tot, sein Vater rehabilitiert.
Doch es hatte nichts genützt. Vergeltung machte einen Menschen nicht wieder lebendig, und auch ruinierte, vergeudete Jahre brachten ihn nicht zurück. Trotzdem: Gideon hatte sein Leben noch vor sich und war entschlossen, das Beste daraus zu machen.
Doch dann, kurz darauf – es lag kaum mehr als einen Monat zurück –, war die finale Katastrophe eingetreten. Ihm war mitgeteilt worden, dass er eine Krankheit habe, die den malerischen Namen Aneurysma der Vena Galeni trug. Es handelte sich um ein abnormes Bündel von Arterien und Venen tief im Gehirn. Die Fehlbildung war inoperabel, es gab keine Behandlung, und er würde binnen eines Jahres daran sterben.
Das war ihm zumindest gesagt worden. Von Eli Glinn, dem Mann, der ihm seinen ersten Auftrag als Agent gegeben hatte.
Er hatte also angeblich nur noch ein Jahr zu leben. Und jetzt, als Garza und er im Schneckentempo durch den stockenden New Yorker Verkehr zum Hauptquartier von Effective Engineering Solutions fuhren, hegte Gideon keinerlei Zweifel, dass Glinn ihm noch einmal einen Teil dieses Jahres wegnehmen wollte. Sicher würde er ihn davon überzeugen wollen, eine weitere Operation für EES zu übernehmen. Gideon war sich zwar nicht sicher, wie Glinn das fertigbringen wollte, aber er war einigermaßen überzeugt davon, dass es mit dem, was soeben mit Chalker passiert war, zusammenhing.
Als der Wagen in die Little West 12th Street einbog, wappnete sich Gideon für die Konfrontation. Er würde
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