Gideon Crew 02 - Countdown - Jede Sekunde zählt
dachte ich doch tatsächlich, wir hätten noch etwas gemeinsam.«
Hinter den Bäumen sah er den Rio Grande aufblitzen, der über sein steiniges Bett strömte, und fühlte sich an einen Fluss zurückversetzt, weit entfernt und vor langer Zeit: Er war mit seinem Vater beim Fliegenfischen, während einer von dessen guten Phasen, und sein Vater erklärte, dass es beim Fliegenfischen, wie im Leben, darauf ankomme, wie lange man die Fliege auf dem Wasser halten könne. »Glück«, pflegte er zu sagen, »ist, wenn Vorbereitung und eine Gelegenheit zusammentreffen. Die Fliege ist die Gelegenheit, der Wurf ist die Vorbereitung. Und der Fisch? Das ist das Glück.«
Rasch schob Gideon die Erinnerung beiseite, wie er es immer tat, wenn Gedanken an seinen Vater in ihm aufstiegen. Es war beunruhigend, dass die Leute sogar hier, in diesem abgelegenen Indianerpueblo, weggingen. Aber schließlich lag der Ort im Schatten von Los Alamos.
Die Schule stand am Rio Grande inmitten der alten Pappelwäldchen, flankiert von staubigen Baseball- und Tennisplätzen. Es war vormittags und ein Werktag, aber wie die Männer bereits angedeutet hatten, war die Schule fast leer. Eine unheimliche Stille lag über dem Schulgelände.
Sie meldeten sich im Schulbüro, und nachdem sie sich ins Besucherbuch eingetragen hatten, brachte man sie in eine kleine Schulbibliothek mit Blick auf das Fußballfeld.
Die Schulbibliothekarin, eine beleibte Dame mit langen schwarzen Zöpfen und dicken Brillengläsern, war noch da. Sie war beim Büchersortieren. Als Fordyce ihr seinen Ausweis zeigte und sie Chalkers Büchersammlung erwähnten, war ihr Interesse geweckt. Gideon fand es erstaunlich, wie gern auch sie bereit war, ihnen zu helfen.
»O ja.« Sie erschauderte. »Den kannte ich, ja. Ich kann kaum glauben, dass er zum Terroristen geworden ist. Ich kann es einfach nicht fassen. Haben die wirklich eine Bombe?« Sie riss die Augen auf.
»Über die Details darf ich nicht sprechen«, sagte Fordyce freundlich. »Tut mir leid.«
»Und wenn man bedenkt, dass er uns seine Bücher gespendet hat. Ich muss Ihnen sagen, wir hier sind alle äußerst besorgt. Wussten Sie, dass die Sommerferien vorzeitig begonnen haben? Deshalb ist hier alles so verlassen. Ich selbst fahre auch weg, schon morgen.«
»Können Sie sich an Chalker erinnern?«, unterbrach Fordyce sie geduldig.
»Aber ja. Es war vor etwa zwei Jahren.« Die Erinnerung machte sie ganz atemlos. »Er hat angerufen und gefragt, ob wir Bücher gebrauchen könnten, und ich habe geantwortet: immer, liebend gern. Er hat sie dann noch am selben Nachmittag vorbeigebracht. Es waren an die zweihundert Stück, vielleicht sogar dreihundert. Er war wirklich ein netter Mann, sehr nett sogar. Ich kann es wirklich kaum glauben …«
»Hat er erwähnt, warum er seine Bücher weggeben wollte?«, fragte Fordyce.
»Daran kann ich mich nicht erinnern, tut mir leid.«
»Aber warum hat er sie dem Pueblo gespendet? Warum nicht der öffentlichen Bibliothek von Los Alamos oder sonst irgendwem? Hatte er Freunde hier?«
»Davon hat er nichts erwähnt.«
»Und wo sind die Bücher jetzt?«
Sie machte eine weit ausholende Geste. »Einsortiert. Wir haben sie zu den anderen gestellt.«
Gideon schaute sich um. In der Bibliothek standen mehrere tausend Bücher. Das würde mühsamer werden, als er erwartet hatte.
»Können Sie sich an irgendwelche Titel erinnern?«, fragte Fordyce, der sich Notizen machte.
Sie zuckte mit den Achseln. »Es waren alles gebundene Bücher, hauptsächlich Krimis und Thriller. Es waren etliche signierte Erstausgaben darunter. Offenbar war er ein Sammler. Aber für uns hat das keine Rolle gespielt – für uns ist ein Buch dazu da, gelesen zu werden. Wir haben sie einfach zu den anderen gestellt.«
Während Fordyce das Gespräch fortsetzte, ging Gideon los und begann, die Thriller-Abteilung durchzusehen, zog wahllos Bücher heraus und blätterte sie durch. Er wollte es Fordyce gegenüber nicht zugeben, aber er fürchtete, seine Idee könnte sich als Zeitverschwendung erweisen. Falls er nicht durch schieres Glück auf eines von Chalkers Büchern stieß, in dem ein wichtiges Blatt Papier steckte oder in dem Chalker am Rand irgendetwas Aufschlussreiches notiert hatte. Aber das schien unwahrscheinlich, und Büchernarren kritzelten ihre Bücher normalerweise nicht voll, besonders nicht signierte Ausgaben.
Gideon spazierte an den Regalen entlang, beginnend bei Z, in umgekehrter alphabetischer Reihenfolge, und zog
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