Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
am Samstag, das war nicht böse gemeint. Ich meine das, was ich über die Kollegen und deren Scheidungen gesagt habe.«
»Schon vergessen.«
»Manchmal bin ich ein bisschen unbeholfen, was so etwas betrifft. Meine Frau lacht dann immer über mich. Und meine Tochter sagt, ich sei naiv. Ich halte ihnen immer entgegen: Ich bin nur ein Dorfkind. Auf dem Land ticken die Uhren noch anders. Verstehst du, was ich meine? Familie und deren Zusammenhalt haben dort noch einen höheren Stellenwert. Man gibt nicht so schnell auf, egal was passiert.«
Aus dem Augenwinkel musterte Kalkbrenner seinen Kollegen. Sie arbeiteten erst seit drei Tagen zusammen, keine wirklich lange Zeit, um sich kennenzulernen. »Und du? Wo bist du aufgewachsen?«
»Geboren in Kervenheim. Das liegt am Niederrhein. Zwischen Misthaufen und Kuhfladen. Mein Vater hatte einen Bauernhof, ich bin also ein waschechtes Dorfkind.« Mit einer verlegenen Geste rieb er sich den Bart. »Mein Vater wollte, dass ich den Hof übernehme. Aber das hat dann mein Bruder gemacht.«
»Und du wurdest Polizist.«
»Frag mich nicht, warum.« Der Stau vor ihnen löste sich auf. Berger gab Gas, und die abrupte Beschleunigung des Passat presste sie in die Sitze. »Ich glaube, ich wollte einfach meinen Teil zum dörflichen Frieden beitragen. Während des Studiums lernte ich dann meine Frau kennen; nach der Wende sind wir in die Nähe ihrer Eltern nach Potsdam gezogen. Jetzt haben wir ein Haus am Templiner See. Ich bin froh, dass meine Kinder auf dem Land aufwachsen konnten. Seit sechs Monaten bin ich in Berlin, und es ist einfach …« Er nuschelte etwas in seinen Bart, das Kalkbrenner nicht verstand.
Sie ließen die riesige Baustelle am Ostbahnhof hinter sich. Bis vor Kurzem hatte es auf den 22 Hektar ein halbes Dutzend sehr beliebter Discotheken und Clubs für Jugendliche gegeben. Dann hatte der Senat das Gelände an einen japanischen Großinvestor verkauft. Der hatte die Jugendlichen vertrieben und die Kneipen eingestampft und baute seitdem an einer Großsporthalle, einer Einkaufsgalerie und einem riesigen Parkhaus. Als gäbe es davon nicht schon genug in Berlin.
»Das ist nun mal die Stadt«, sagte Kalkbrenner.
»Die Stadt? Es sind wohl eher die Menschen. Natürlich sind es beileibe nicht alle, die so sind. Aber manchmal denke ich, es werden immer mehr von dieser Sorte. Es gibt hier auch mehr Rücksichtslosigkeit und Gier, die nicht einmal vor denen haltmachen, die angetreten sind, diese Entwicklungen zu verhindern. Ich verstehe das nicht. Bin ich wirklich naiv, nur weil ich noch an Familie, an Werte wie Vertrauen und Zusammenhalt, an den Unterschied von Recht und Unrecht glaube?«
»Nein, das bist du nicht«, erwiderte Kalkbrenner. »Nur wirst du es damit in Berlin ungleich schwerer haben als anderswo.«
»Na danke, das macht mir Hoffnung.«
»Soll ich dich etwa belügen?«
»Es würde mir wenigstens meinen Glauben lassen. Aber vielleicht ist es auch einfach nur …«
Kalkbrenners klingelndes Handy stoppte Bergers Redefluss. Es war Rita. »Ich bin mit der Anrufliste der Brodbecks durch und habe nichts von Bedeutung gefunden. Bis auf eines vielleicht: Brodbeck ist zu den Treffen mit Freunden immer mit dem Taxi gefahren.«
»Und was soll daran besonders sein?«
»Am Montag, am Abend vor seinem Tod, am gleichen Tag, an dem er das Geld vom Schweizer Nummernkonto erhalten hat, ist von ihm bei
Berlin Schnell
ein Taxi bestellt worden. Es stand jedoch kein Termin in Brodbecks Timer.«
»Kannst du herausfinden, welcher Taxifahrer ihn wohin gefahren hat?«
»Das ist über eine Woche her«, zweifelte Rita.
»Es wäre einen Versuch wert.«
»Na gut, ich kümmere mich darum.«
Die nächsten Minuten legten sie schweigend zurück. Sie erreichten das Anwesen gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie das Eingangsportal nach innen aufschwang. Ein massiver schwarzer Chrysler wartete bereits direkt dahinter.
Berger versperrte mit dem Passat die Ausfahrt. Kalkbrenner lief zur Limousine, aus der zwei Bodyguards sprangen. Die Hände glitten in die Innentaschen ihrer Jacken. Kalkbrenner hielt seinen Dienstausweis hoch. Doch es dauerte, bis die Kolosse sich wieder entspannten.
Eines der Fondfenster am Chrysler fuhr surrend herab. Eine vor Wut verzerrte Grimasse erschien. »Was?«, fauchte Miguel Dossantos. »Was wollen Sie jetzt schon wieder?«
»Wir sind von der Mordkommission, und wir wollen …«
»Wenn Sie nichts in der Hand haben, dann haben Sie gar nichts mehr zu wollen«,
Weitere Kostenlose Bücher