Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
am Sonntag im
Café Hermano
dringend
in sein Büro gebeten hatte, um mit ihm unter vier Augen zu sprechen. In diesem Augenblick waren diese verdammten Russen gekommen. Was hatte sein Sohn ihm mitteilen wollen?
Es geht nicht immer nur um dich!
War Dossantos tatsächlich zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um mitzubekommen, dass sein Sohn in ernsthaften Schwierigkeiten steckte? Er dachte nach. Konzentrierte sich. Es fiel ihm schwer. Er wollte in Catharinas Zimmer gehen, sich noch eine Prise Koks genehmigen. Das würde seine Gedanken schärfen. Was Claudio wohl davon halten würde? Sicherlich nicht viel.
Dossantos ließ das Gespräch mit den beiden Beamten, deren Namen er schon wieder vergessen hatte, noch einmal Revue passieren. Claudio fasste seine Sorge in Worte: »Auch wenn wir nicht wissen, wer er ist, aber wir kennen Samuels Mörder.«
Im Foyer warteten Bruno und Robert. Die anderen Leibwächter bewachten die Finca. Für jeden von ihnen hätte Dossantos die Hand ins Feuer gelegt. Ebenso für seine Freunde, die wenigen, die er an sich heranließ. Er konnte sich ihrer sicher sein. Das konnte er doch, oder?
»Ich weiß, was du denkst«, sagte Claudio.
»Es ist ein beschissenes Gefühl, niemandem mehr trauen zu können.«
»Mach dich nicht verrückt.«
»Vielleicht bin ich ja schon verrückt. Vielleicht ist alles nur ein Albtraum …« Dossantos hastete in die Vorhalle. »Bruno, komm. Wir fahren ins
Apollo.
«
Der Bodyguard rührte sich nicht vom Fleck. »Aber ich dachte, ich soll …«
»Nein, darum kümmert sich jetzt Claudio. Claudio, kümmere dich um den Zeugen. Meine Frau. Cathy. Finde das Miststück!«
90
Unterwegs verdrückte Kalkbrenner einen gewürzten Whopper BBQ mit Pommes und Salat
von
Burger King
und trank dazu – um die Kalorien halbwegs wieder auszugleichen – eine Coca-Cola Light. Am späten Nachmittag erreichte er die Datsche in der Uckermark. Dichte graue Wolken verdunkelten den Himmel und kündigten ein Gewitter an. Es war unerträglich schwül.
Judith öffnete ihm die knarzende Tür. Sie trug ein leichtes schwarzes Sommerkleid. Die blonden Haare fielen ihr locker über die Ohren. Sie wirkte gelöster als noch am Vortag. Selbst die Schürfwunde auf ihrer Wange war kaum noch zu sehen. »Hallo! Möchtest du einen Kaffee?«
»Ein Wasser wäre mir lieber.« Der Burger lag ihm schwer im Magen.
In der kleinen Küche ließ Judith ihm ein Glas Leitungswasser ein. Sie selbst trank Wein. »Wie geht es dir?«, fragte er, nachdem sie es sich im Wohnzimmer auf der Couch bequem gemacht hatten.
»Besser. Ich fühle mich hier sicher.«
Sie hatte das Haus durchlüftet, so dass es nicht mehr so muffig roch. Sie hatte Staub gewischt und einige Feldblumen in Gläsern auf die Tische gestellt. Obwohl es noch warm war, brannte der Kamin – wahrscheinlich mit Holz aus den nahen Wäldern. Das Feuer tauchte den niedrigen Raum in ein warmes, behagliches Licht. »Ist es okay hier?«
»Fast wie Urlaub.« Sie lächelte, aber nur kurz, dann war ihr Gesicht wieder von Trauer gezeichnet. »Aber eben nur fast. Ich denke zu viel nach. Über das, was du mir erzählt hast. Über Matthias. Ich versuche mich zu erinnern, ob und wann ich irgendetwas übersehen habe. Ich frage mich, warum ich nichts bemerkt habe?«
»Du hast wirklich nichts mitbekommen?«
Sie verneinte mit einer schnellen Kopfbewegung. Das blonde Haar fiel ihr ins Gesicht. Vehement wischte sie es sich aus den Augen. »Nein, nicht dass ich wüsste.«
»Du darfst dir keinen Vorwurf machen.«
»Das sage ich mir auch die ganze Zeit. Ich bin es ja nicht gewesen, die etwas verheimlicht hat. Er war es, der irgendwelche …« Sie ließ den Kopf hängen. »Aber trotzdem fühle ich mich schuldig. Absurd, oder?«
»Ich kenne dieses Gefühl.«
Überrascht schaute sie wieder auf. »Du?«
Er trank von dem Wasser. Er war nicht hierhergekommen, um über sich selbst zu reden. »Judith, ich muss dir noch ein paar Fragen stellen.«
»Ich habe es befürchtet.«
Erneut nippte er am Wasser, gewährte ihr noch einige Sekunden Zeit. »Habt ihr beide, du und dein Mann, habt ihr euch über eure Termine und Treffen verständigt?«
»Natürlich, das ist doch normal in einer …« Sie faltete die Hände auf dem Tisch. »Na ja, was war schon normal in meiner Ehe? Diese Frage muss ich mir wohl gefallen lassen, wo sich herausstellt, dass mein Mann ein Doppelleben geführt hat. Was von dem, was er mir erzählt hat, entsprach überhaupt der Wahrheit?«
»Ist
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