Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
trat ans Fenster und schob den Vorhang beiseite. Ein Autokorso schlängelte sich durch den Westberliner Mief hin zur Avus. Es war ein fortwährendes Rauschen und Knattern, das den Anwohnern ganz bestimmt die Nerven raubte. Von der Gesundheit ganz zu schweigen.
Catharina dagegen erfreute sich an dem brodelnden Verkehr. Er versprach pulsierendes Leben und einen Weg raus aus Berlin.
Sie zog das Nachthemd aus und stellte sich unter die Dusche. Anschließend zog sie frische Wäsche an und griff, kurz bevor sie den Raum verließ, wieder zur Zeitung. Ungläubig las sie den Artikel erneut. Nein, es war kein Traum gewesen.
Ich habe immer nach etwas gesucht.
Endlich hatte sie es gefunden. Zum ersten Mal seit vielen Jahren fühlte sie sich in Sicherheit.
Sina bereitete in der Küche das Mittagessen vor. Am Tisch neben Stephan Kühne, einem der Ermittlungsbeamten des BKA, die zu ihrem Schutz abgestellt worden waren, saß Ludwig Harenstett, der den Stein überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte. Eines Tages hatte er sie angesprochen. Sie war mit Sina auf dem Weg in die Stadt gewesen, auf einer ihrer Exkursionen, von denen Miguel angenommen hatte, sie führten sie zum Arzt.
Harenstett schaute missmutig von einer anderen Tageszeitung auf, die die gleiche Schlagzeile trug. »Haben Sie gut geschlafen?«
»Es geht.«
»Ich weiß, das hier ist nicht das
Hilton
.«
Die Wohnung verfügte über vier Zimmer, Küche, Diele, Bad, Raufasertapete, blasse Auslegeware, einfache Möbel aus dem Baumarkt: ein schlichtes Ambiente in noch unscheinbarerer Umgebung. »Das stört mich nicht«, sagte Catharina. »Aber Sie sind nicht gekommen, um mit mir über die Wohnung zu plaudern.«
»Nein«, sagte er und rührte in dem Kaffee herum, den Sina vor ihn hingestellt hatte. Kühne kratzte sich erst die Stirn, dann die Augenbraue und unterzog anschließend sein T-Shirt einer ausgiebigen Fusselkontrolle.
Catharina hielt es für besser, sich zu setzen.
»Ihr Mann ist aus der Untersuchungshaft entlassen worden«, sagte Harenstett schließlich.
»Was soll das heißen? Aus der Haft entlassen?« Catharina sprach lauter als beabsichtigt. Sina kam zu ihr und ergriff ihre Hand, doch Catharina wollte nicht beruhigt werden. »Sie haben mir versprochen, dass er nicht mehr freikommt.«
»Es gab da ein Problem mit dem Haftrichter.«
Sie begriff sofort. Im Gegenteil zu Harenstett, der meinte: »So oder so, Ihr Mann wird sich vor Gericht verantworten müssen.«
»Wenn es so weit überhaupt noch kommt.«
»Machen Sie sich da keine Sorgen«, erklärten Harenstett und Kühne unisono. »Sie sind hier vorerst sicher.«
»Sicher? Vorerst?« Was redeten die da?
»Bis zur Verhandlung. Und danach können Sie an einem anderen Ort ein neues Leben beginnen. Wie wir es vereinbart haben.«
»Nein«, wehrte Catharina ab, »nein, vereinbart war etwas ganz anderes.« Sie stand auf und stieß mit der Hüfte gegen den Tisch. Den Schmerz ignorierte sie, und der Kaffee, der über die Ränder der Tasse schwappte und sich in das Holz fraß, interessierte sie nicht. »Wenn Sie es schon nicht schaffen, ihn in Haft zu behalten, wie wollen Sie mich dann beschützen?«
»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun«, versicherte ihr Harenstett.
Sie wusste, dass er nicht ganz unrecht hatte, aber sie wusste auch, wie gefährlich ihr Mann war. Besonders dann, wenn man ihn gereizt hatte. »Es ist ein Fehler, zu glauben, man könnte sich Miguels Einfluss entziehen, erst recht, wenn er wieder auf freiem Fuß ist.« Sie zeigte auf Harenstett. »Sie sollten es doch am allerbesten wissen.«
»Niemand weiß von Ihrem Aufenthaltsort …«
»Niemand?«
»Kaum jemand.«
»Das kann bereits einer zu viel sein.«
Sie durchquerte die Küche. Vor der Tür zum Schlafzimmer drehte sie sich um.
Ich habe immer nach etwas gesucht.
Sie hätte es wissen müssen. Sie würde es nicht finden. Der Fehler, Miguel Dossantos geheiratet zu haben, ließ sich nicht mehr rückgängig machen. »Vielleicht ist es besser, wenn ich meine Aussage zurückziehe.«
87
Bruno legte sein Handy beiseite.
»Was ist mit Catharina?«
Bruno sagte nichts.
»Was ist mit meiner Frau?«
Stille.
»Ist sie in der Klinik?«
»Nein«, antwortete Bruno. »Sie ist nie dort angekommen.«
Als wäre damit alles gesagt, verfiel Bruno in Schweigen. Aber sosehr Dossantos das Thema ursprünglich auch hatte aufschieben wollen, jetzt konnte er es nicht mehr auf sich beruhen lassen. Er begriff es ja nicht einmal. »Das kann ich mir
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