Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Ihr Sohn, sein Leibwächter und die beiden Schüler.«
Schweigen. Auch das war eine Antwort.
»Wir sind davon überzeugt, dass Ihre russischen Gäste nichts damit zu tun haben«, sagte Kalkbrenner.
Dossantos und Boccachi blieben noch immer still. Kalkbrenner entsann sich, wie unbeherrscht der Portugiese, kurz nachdem er vom Tod seines Sohnes erfahren hatte, auf Harenstetts Provokation reagiert hatte.
»Der Mörder muss jemand gewesen sein, der bei Ihrer Auseinandersetzung am Sonntag anwesend war und die Situation wenige Minuten später für seine Zwecke ausgenutzt hat.«
»Meinen Sie nicht, das hätte ich bemerkt?« Boccachi legte seinem Freund die Hand auf den Arm. Nach seiner überraschenden Verhaftung stand Dossantos vermutlich noch mehr unter Druck.
Kalkbrenner riskierte einen Versuch. »Vielleicht haben Sie es ja bemerkt?«
Der Portugiese blieb ungerührt. Boccachi rückte seinen Nadelstreifenanzug am Revers zurecht. »Wollen Sie uns damit unterstellen, wir würden einen Mörder decken?«
Dossantos knurrte: »Und ausgerechnet den meines Sohnes?«
Der Anwalt beendete besonnen das Gespräch. »Ich denke, es ist alles gesagt worden.« Er warf seinem Freund einen beruhigenden Blick zu. »Wenn Sie uns jetzt bitte entschuldigen würden. Mein Mandant hat seinen Sohn verloren. Er muss sich um wichtige Dinge kümmern.«
Wortlos geleitete er sie zur Tür. Kaum dass Kalkbrenner mit seinem Kollegen im Passat saß, verließ auch Dossantos mit seinem Tross die herrschaftliche Villa.
»Er weiß etwas!«, stieß Kalkbrenner hervor.
»Was macht dich so sicher?«
»Intuition.«
Der Chrysler rollte an ihnen vorbei. Vorne saßen zwei Gestalten, breite Schultern, grimmige Mienen. Von Dossantos und seinem Anwalt war im verdunkelten Fond nichts zu erkennen. Der Wagen raste in Richtung Stadtmitte.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Berger.
»Den Mörder finden. Bevor Dossantos es tut.«
»Verstehe ich das richtig? Jetzt müssen wir ihn also nicht nur finden, sondern auch noch vor dem Portugiesen retten?«
»Wenn wir nicht wollen, dass wir demnächst eine unbekannte Leiche aus einer Baugrube am Ostbahnhof ziehen …«
Berger heulte vor Schmerzen auf. »Ich weiß nicht, was mich mehr wahnsinnig macht. Dieser Scheißkerl oder …«
»Du solltest schleunigst zum Zahnarzt fahren.«
»Kommst du dann allein zurecht?«, presste Berger hervor.
»Klar, setz mich einfach an der nächsten U-Bahn-Station ab. Ich hol mir meinen Wagen vom Präsidium.«
»Und dann?«
»Dann werde ich mich noch einmal mit Brodbecks Witwe unterhalten.«
Berger taxierte ihn merkwürdig von der Seite. »Aha«, machte er dann. Mehr nicht.
89
Nachdem Claudio die beiden Kommissare zur Tür gebracht hatte und ins Arbeitszimmer zurückgekehrt war, stemmte sich Dossantos vom teuren Mahagonischreibtisch ab. Er sah aus, als würde ihm in diesem Moment die Kontrolle über sein gesamtes Leben entgleiten. »Was soll das alles?«
Claudio nagte nachdenklich an der Unterlippe.
»Ich habe das Gefühl, als hätte sich die ganze Welt gegen mich verschworen.«
»Du übertreibst.«
»Ach ja? Erst Samuels Tod, dann der Haftbefehl. Meine Frau als Zeugin …«
»Noch wissen wir das nicht mit absoluter Sicherheit.«
»… und jetzt noch ein Mörder in den eigenen Reihen.«
»Das hatte ich aber schon mal angedeutet.«
»Ja, vielen Dank, Herr Anwalt und Neunmalklug. Hast du auch einen Ratschlag, was wir jetzt gegen die Russen, Albaner und Rumänen unternehmen?«
»Was ist mit denen?«
Dossantos legte den Zeigefinger an die Lippen. »Pst.«
»Was denn?«
»Hörst du das nicht?«
»Nein, außer der Klimaanlage höre ich nichts.«
Das Kokain, das sich Dossantos vor einer Dreiviertelstunde in die Nasenlöcher gezogen hatte, entfaltete seine Wirkung. Klirrende Laute schlichen sich in seine Wahrnehmung. »Ich kann hören, wie die Unterwelt ihre Klingen wetzt …«
»Das sind die Hummer im Aquarium!«
»… weil sie glauben, ich wäre endlich weg vom Fenster.«
»Jetzt übertreibst du aber wirklich.«
Der Portugiese schnaubte abfällig. »Wer sagt denn, dass sie nicht schon längst den Respekt vor mir verloren haben?« Seine Stimme schraubte sich eine Oktave nach oben. »Anders kann ich mir das alles nicht erklären.«
»Erklär mir lieber, was dein Sohn mit dem Lehrer zu schaffen hatte.«
»Woher soll ich das wissen? Samuel hat mir nicht über alle seine Geschäfte Rechenschaft abgelegt – das waren deine Worte.«
Ihm fiel wieder ein, wie Samuel ihn
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