Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
hier und jetzt im Detail zu erklären. Darüber setzt Sie Berger in Kenntnis, sobald Sie zurück in Berlin sind. Berger ist doch erst seit einem Jahr in Berlin und nicht einmal sechs Monate bei der Mordkommission. Er kennt sich noch nicht aus, vor allem nicht in einem Problembezirk wie Neukölln. Sie dagegen, Kalkbrenner, Sie haben Erfahrung mit diesen …« Jetzt hüstelte er tatsächlich.
Bilder tauchten vor Kalkbrenners geistigem Auge auf, Bilder von Menschen, die am unteren Ende der Gesellschaft standen, die keinen Funken Hoffnung mehr besaßen, dafür umso mehr Wut auf den Rest der Welt, der sie abgeschrieben hatte. Sofort schmeckte er Galle. Er versuchte sich darauf zu konzentrieren, was Dr. Salm sagte. »… will der Polizeipräsident höchstpersönlich, dass Sie sich der Angelegenheit annehmen.«
»Mhm.«
»Er hält große Stücke auf Sie. Immerhin haben Sie diese Sache im Juni mit Bravour gelöst.«
Kalkbrenners Finger verkrampften sich um das Mobiltelefon.
Mit
Bravour!
Es war blanker Zynismus, diese Worte ausgerechnet aus Dr. Salms Mund zu hören.
»Wie auch immer. Die Anweisung kommt von ganz oben: Ihr Urlaub ist hiermit beendet. Bis auf Weiteres sind Sie wieder im Dienst. Zumindest so lange, bis die Sache vom Tisch ist. Sie kommen nach Berlin und leiten die Ermittlungen. Und zwar sofort!«
»Sofort?«
»Ja. Sie müssen doch ohnehin nach Hause.«
»Muss ich?« Unter dem Tisch erwachte Bernie knurrend. Offenbar spürte auch er den aufziehenden Ärger.
»Aber natürlich. Wollen Sie etwa Ihre Bürgerpflicht vernachlässigen? Am Sonntag sind Wahlen. Sie müssen Ihr Kreuzchen machen.«
»Sagt Ihnen das Wort Briefwahl nichts?«
Salm ging nicht darauf ein. »Also, wir sehen uns morgen auf dem Präsidium. 11 Uhr. Und keine Minute später. Ich bin zurzeit im Umzugsstress: Sie wissen doch, ich habe nach der Wende dieses Grundstück in Potsdam erworben. Die Bauarbeiten sind zwar immer noch nicht ganz abgeschlossen, aber an diesem Wochenende ziehe ich mit meiner Familie raus – endlich!« Er lachte. »Hat lange genug gedauert.« Er nieste. »Acht Jahre. Können Sie sich das vorstellen?« Er schnäuzte sich. »Bis morgen früh!«
Kalkbrenner legte das Handy beiseite. Hubertus musterte ihn besorgt. »Dein Chef?«
»Moment!« Kalkbrenner beugte sich über den Tisch, überflog das Spielfeld und opferte den Bauern. Hubertus parierte mit seinem Läufer, was Kalkbrenner die Chance gab, seine Dame zu setzen.
Hubertus griff mit der Hand nach vorne und ließ sie über dem Schachbrett schweben, bevor er sie zurück in den Schoß legte. Verwundert kniff er die Augen zusammen. Es dauerte noch einige Sekunden, bis er sich überwand. Dann kippte er seinen König um. Anerkennung schwang in seinen Worten mit: »Das nennt man dann wohl schachmatt.«
7
»Hey, hast du ein paar Teile?«
Der stickige Dunst auf der Tanzfläche zerstob. Unvermittelt stand das Mädchen vor ihm. Ihre Brüste waren riesig. Viel größer, als er sie in Erinnerung hatte.
»Hast du nun was oder nicht?«, rief sie ungeduldig. Beim Lärm der Musik war sie kaum zu verstehen.
Sie hatte ihn nicht erkannt. Vielleicht wollte sie ihn auch nicht erkennen. Er hatte mit ihr die Schulbank gedrückt, als sie noch die blasse und schüchterne Nicole mit dem kleinen Busen gewesen war. Als Chloe spielte sie eine unbeschreiblich weibliche, liebestolle, pumpsbeschuhte Karrierefrau in einer dieser neuen täglichen Vorabendserien.
Deshalb trieb sie sich auch im
Hermano
herum. Tagsüber ein Edelrestaurant, verwandelte es am Abend ein DJ in eine Disco für die High Society oder für alle die, die sich dafür hielten: Eintagsfliegen aus den Charts, Soap-Starlets, Models und Gigolos, sogar Zuhälter und ihre verkoksten Nutten verkehrten hier.
Weil er nichts antwortete, wollte sie zurück auf die Tanzfläche. Er packte schnell ihren Arm und hielt sie zurück.
»Bist du blöde?«, fauchte sie ihn an.
Dann brachte er die bunten Pillen aus seiner Jackentasche zum Vorschein. Wie erwartet zauberten sie ein Lächeln auf ihre Lippen. Nicole war also auch ein Teil dieses Spiels, Chloe dagegen nur eine Lüge. Genauso wie ihre Titten.
Sie pickte sich eine Tablette von seiner Handfläche. Gemeinsam schluckten sie das Speed. Eigentlich hatte er damit aufgehört, aber das Zeug machte vieles erträglicher. Außerdem schärfte es den Verstand, und er fühlte sich stark damit.
»Bist ja doch gar nicht so blöde«, schrie sie ihm ins Ohr.
Er fand sich mit ihr auf der Toilette
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