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Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)

Titel: Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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nicht mehr Herr. Berlin wird von Nullen regiert.«

9
    Als Paul Kalkbrenner den Fahrstuhl in der dritten Etage verließ, verharrte Bernie im Aufzug. Der Hund schnupperte skeptisch, als röche er neben abgestandenem Kaffee und herbem Schweiß auch den seelischen Schmutz, der diesem Stockwerk anhaftete.
    Kalkbrenner war der Geruch vertraut. Auch nach fünf Wochen, die er nicht in den Räumlichkeiten des Kriminalkommissariats Berlin-Mitte verbracht hatte.
    Mit der Hand gab er ein Zeichen, und der Bernhardiner rannte den Gang entlang, die Schnauze knapp über dem abgenutzten Veloursboden. Vor einer rissigen Holztür blieb er stehen. Aufgeregt zerpflügte sein Schwanz die Luft. Kalkbrenner tätschelte ihm die Flanke, dann betraten sie zusammen das Vorzimmer seines Büros.
    »Paul, da bist du …« Die Stimme der Frau, die hinter einem der Schreibtische hervorhüpfte, schraubte sich unvermittelt zu einem schockierten Quieken hoch. Bernie schoss wie ein Wirbelwind auf sie zu.
    Rita Barnitzke, Kalkbrenners Sekretärin, hielt ein Stück Nusskuchen in den Händen. Das Gebäck war unter den Kollegen legendär – nicht zuletzt wegen der horrenden Zahl von Kalorien, die Rita in Form von Schlagsahne darauf verteilte. Doch gegenwärtig war es nur der Bernhardiner, der auf den Kuchen aus war.
    »Paul!« Seine Sekretärin reckte den Teller verzweifelt in die Höhe, was ihr herzlich wenig brachte. Sie war von kleiner Statur und dazu recht pummelig. An Letzterem war im Wesentlichen der übermäßige Verzehr ihrer eigenen Backwaren schuld.
    Bernie witterte seine Chance. Die Zunge hing ihm bereits aus dem Maul. Er ließ die Leckerei nicht aus den Augen, stemmte sich auf die Hinterbeine und legte die Vorderpfoten auf die Schultern von Rita, deren Stimme immer panischer wurde. »Paul, bitte, bitte, kannst du endlich deinen Hund rufen!«
    »Bernie, bei Fuß.«
    Der Bernhardiner ließ von Rita ab und trottete mit hängendem Schwanz zu Kalkbrenner. Die Sekretärin sank erleichtert auf ihren Stuhl und stellte den Kuchen auf dem Schreibtisch ab. Der Teller klirrte. Bernie spitzte sofort wieder die Ohren. Rita zuckte. Kalkbrenner lachte. »Kann es sein, dass du abgenommen hast?«
    Seine Sekretärin zupfte ihre geblümte Bluse und den längs gestreiften Wickelrock zurecht. Sie liebte Wickelröcke, seit sie in irgendeiner Frauenzeitschrift gelesen hatte, dass sie schlank machten. »Sieht man das?«
    »Aber natürlich.«
    Sie strahlte über das ganze Gesicht. Dann verdüsterte sich ihr Blick. »Paul, was treibst du eigentlich hier?«
    »Die Pflicht ruft.«
    Ihrer Miene nach zu urteilen, war sie mit der Antwort nicht zufrieden. »Musste das wirklich sein?«
    »Hatte ich eine andere Wahl?«
    »Du hattest doch Urlaub.«
    Das klang ganz nach Rita, der guten Seele des Reviers, Mutter der Abteilung und personifiziertes schlechtes Gewissen in einer Person. Mehr als mit Mord und Totschlag war sie mit dem Privatleben der Kollegen vertraut – und sorgte sich darum. Auch wenn es manchmal nicht viel half. »Mein Urlaub ist gestrichen worden.«
    Sie stemmte die Hände in die properen Hüften. »Von Dr. Salm, oder? Saukerl, der!« Ihre Haltung entspannte sich wieder. »Möchtest du ein Stück Kuchen? Hab ich gebacken.«
    »Danke, nein.« Weil Enttäuschung über Ritas Gesicht glitt, bückte sich Kalkbrenner zu dem Hund hinunter. »Aber ich glaube, Bernie hat Hunger.«
    »Und du bist auch ein Saukerl!« Beleidigt drehte Rita ihm den Rücken zu.
    Kalkbrenner beeilte sich, in sein Büro zu kommen. Der Boden war mit den schwarzen Schlieren Dutzender Gummisohlen übersät, die Wände hatten sich vom Zigarettenqualm ungezählter Überstunden gelb verfärbt. Stellenweise wellte sich die Tapete. Die an der Wand aufgereihten Schränke waren dunkelbraun; gut möglich, dass sie ebenso wie das ganze Polizeigebäude am Alexanderplatz noch aus der Vorwendezeit stammten.
    Der Schreibtisch sah aus, wie Kalkbrenner ihn vor fünf Wochen verlassen hatte. Der PC-Monitor versank in einem heillosen Chaos aus Akten und Vermerken. Den Bildschirm, auf den ein Scherzkeks ein Smiley gezeichnet hatte, überzog eine dünne Staubschicht.
    An dem Plastikgehäuse klebten zwei Fotos. Das eine zeigte Kalkbrenner mit seinen Eltern in der Kreuzberger Wohnung, in der er aufgewachsen war. Wieder dachte er an seine Mutter. Ob sie ihn in den letzten fünf Wochen vermisst hatte? Auf dem anderen Bild waren Jessy und er im Kanada-Urlaub vor sechs Jahren zu sehen. Es waren die letzten Ferien gewesen,

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