Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
geradewegs auf seine Stirn zielte. Sie ragte riesig vor ihm auf, so groß, dass er die Person dahinter, die sie hielt, nicht erkennen konnte.
»Was wollen Sie?«, fragte er panisch.
»Dich!«, sagte der Angreifer.
»Was habe ich getan?«
»Mich verraten.«
»Wir können doch über alles reden!«, schrie Dossantos.
»Wem hilft es schon, zu reden?«
Der Finger am Abzug krümmte sich. Dossantos wollte sich unter der Waffenmündung hinwegwinden. Es klickte. Er konnte sich nicht bewegen. Er war gefangen. Ein Schuss donnerte in seinen Ohren. Er presste die Lider aufeinander. Er wollte dem Tod nicht ins Auge sehen. Sein Kopf wurde heiß und explodierte.
Er öffnete die Augen. Endlich wach. Seine Lunge rasselte. Die Decke umschlang ihn wie eine riesige Fessel. Gleißendes Sonnenlicht stahl sich an den Vorhängen vorbei und strahlte ihm warm ins Gesicht. Nur langsam normalisierte sich sein Atem. Dossantos setzte sich auf. Er war froh, dass es vorüber war. Dennoch war die Realität nicht wesentlich besser als sein Traum. Sie
war
ein Albtraum aus Mördern und Verrätern.
Warum dauert das so lange?
Diese Warterei machte ihn ganz wahnsinnig. Er griff zu seinem Handy, wählte eine Nummer. Mehrere Sekunden vergingen, bis endlich abgenommen wurde. Zögernd fragte jemand: »Ja?«
»Kümmern Sie sich um mein Problem?«
»Es tut mir leid, mein Schatz, aber ich bin gerade mit Frieder im Gespräch«, kam die Antwort nach einigen Augenblicken.
Eine Hand wurde über das Mikro gelegt. Dossantos konnte nicht verstehen, was gesagt wurde. Dann: »Ich soll dich von Frieder grüßen.«
»Sehr schön. Dann fragen Sie ihn doch nach meinem Problem.«
»Ja, mein Schatz, ich kümmere mich darum. Ich habe es versprochen.«
»Ausgezeichnet.«
Ein Klopfen an der Tür. Wie ein Erdbeben erschütterte es das Schlafzimmer. Vor Schreck drohte Dossantos aus dem Bett zu kippen.
Verflucht, was ist mit mir los?
War er tatsächlich drauf und dran, den Verstand zu verlieren?
»Chef?«, rief Bruno durch die Tür.
»Was ist?«
»Geht es dir gut?«
»Logisch.«
Dossantos schlurfte ins Bad. Mit seinen Handflächen schöpfte er sich kaltes Wasser ins Gesicht, bis er glaubte, halbwegs wieder fit zu sein. Er sah die Tüte Kokain, die auf der Kloschüssel lag. Gestern Abend, nachdem sie von Hönig zurückgekehrt waren, hatte er sich noch zwei Bahnen genehmigt. Sozusagen eine kleine Gutenachtprise. Er hatte sie sich verdient.
Er griff erneut danach, hielt das Koks bereits zwischen den Fingern, warf es dann wieder fort. Stattdessen zog er sich nur einen Bademantel über und ging nach unten.
Im Esszimmer hatte Magda den Frühstückstisch gedeckt. Auch heute war alles so, wie er es sich wünschte, doch Dossantos verspürte noch immer keinen Appetit. Nicht unter den giftigen Augen von Catharina. Er würde das Bild verbrennen. Nicht heute. Später. Jetzt wollte er nur ihrem Blick entkommen.
Die Haushälterin schenkte ihm Kaffee ein. Er nahm einen Schluck. Auf dem Weg ins Arbeitszimmer rief er nach Bruno. »Kontaktier die Schwestern!«
Sein Leibwächter sah ihn zweifelnd an. »Das ist lange her …«
»Na und? Gib ihnen Bescheid, dass sie sich bereithalten sollen. Sofort.«
Bruno verzog skeptisch seine Miene. »Du weißt doch, wie vorsichtig die beiden sind. Sie werden nicht Hals über Kopf …«
»Doch, das werden sie! Sag ihnen, dass ich bereit bin, das Doppelte ihres Standardhonorars zu zahlen.«
Bruno unternahm einen weiteren Versuch, seinen Chef von dem Vorhaben abzubringen. »Aber das ist nicht nötig. Ich kann das doch erledigen.«
»Nein, das kannst du nicht.«
Bruno wirkte noch immer nicht überzeugt. »Vertraust du mir nicht mehr?«
»Das hat damit nichts zu tun. Es geht um Catharina. Meine Frau. Ich glaube nicht, dass du dafür der Richtige bist.« Aber das war nur die halbe Wahrheit.
Du solltest in Zukunft vorsichtiger sein.
Das war die andere Hälfte.
104
»Hallo, Herr Kalkbrenner.« Leif öffnete ihm die Tür. Bernie stob aus der Wohnung heran und sprang freudig zwischen ihnen umher.
Es dauerte eine Weile, bis der Bernhardiner sich beruhigt hatte. »Ist meine Tochter da?«
Leif kämmte sich sein struppiges Haar mit den Fingern zurück. »Nein, ich soll Ihnen nur sagen, dass Bernie heute schon sein Futter bekommen hat. Den Rest …«, er langte verlegen mit den Händen in die Hosentaschen, »… den kennen Sie ja.«
Kalkbrenner betrat das kleine Apartment seiner Tochter. Es bestand aus einem Zimmer für Bett, Sofa und
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