Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Fernseher, einer kleinen abgeteilten Kochnische und einem noch kleineren Badezimmer, in dem gerade mal Dusche, Klo und ein winziges Waschbecken Platz fanden. Anfangs hatte er sich dagegen gesträubt, dass sie in diesen Verschlag ziehen wollte. Aber ihr hatten die 18 Quadratmeter gefallen. Außerdem war es ihr ausdrücklicher Wunsch gewesen, die Wohnung mit Hilfe ihres Nebenjobs – sie kellnerte in einer Bar in Friedrichshain – zu finanzieren. Also hatte er sich gefügt. Es war noch gar nicht lange her, dass er ihr beim Einzug geholfen hatte. Dabei hatte ihre Beziehung zueinander einen neuen, warmen, herzlichen Anfang genommen. Er wollte nicht, dass wieder Eiszeit zwischen ihnen herrschte.
Er ließ sich Leine und Napf seines Hundes geben. »Sag mal, Leif, glaubst du auch, dass ich gestern …« Das Satzende sprach er nicht aus.
Der Junge trat von einem Fuß auf den anderen. »Na ja, die Situation sah schon etwas merkwürdig aus.«
»Merkwürdig?«
»Na, verdächtig eben.« Irgendwo im Haus plärrte laute Rockmusik.
Desire
von U2. »Sie sollten wirklich mit Jessy reden.«
»Wie denn, wenn sie nicht da ist!«
»Sie kennen sie doch. Sie braucht immer eine Weile, bis sie sich abgeregt hat. Geben Sie ihr Zeit.«
Widerwillig verabschiedete sich Kalkbrenner. Er sperrte Bernie in den Kofferraum seines Wagens, klemmte sich hinters Steuer, startete und gab Gas. Auf der Skalitzer Straße kam er gut voran, doch an der Mühlenstraße ging gar nichts mehr. Die Schaufelbagger und Zementmischer der Baustelle vor dem Ostbahnhof verhinderten mal wieder ein zügiges Fortkommen.
Gib uns ein bisschen Zeit. Geben Sie ihr Zeit.
Nein, genau das fehlte ihm im Augenblick am meisten: Zeit. Sie rann ihm förmlich durch die Finger.
Er brauchte fast eine Stunde, bis der Fahrstuhl ihn gemeinsam mit Bernie in der dritten Etage des Präsidiums absetzte. Im Vorzimmer blieb er vor Ritas Schreibtisch stehen. Bernie tollte um die Sekretärin herum, die sich dieses Mal weniger Sorgen machte. Heute hatte sie keinen Kuchen mitgebracht. »Sag mal, Rita, dein Mann ist doch zu Hause, oder?«
»Ja, Gernot ist krankgeschrieben.«
»Meinst du, er könnte Bernie für ein paar Tage nehmen?«
»Ich dachte, Ellen kümmert sich um ihn?«
»Es gibt da einige Probleme.«
»Warum?«
Er seufzte. »Bitte nicht jetzt.«
»Wegen Frau Brodbeck, richtig?«
Der Scharfsinn seiner Sekretärin war bestechend. »Aber es ist nicht so, wie Ellen denkt.«
»Was denkt sie denn?«
»Rita, wir haben echt gerade andere Sorgen. Kann Gernot sich um Bernie kümmern oder nicht?«
Rita zupfte an ihrem Wickelrock, doch es gelang ihr nicht, seine Falten zu glätten. Dann richtete sie die Brosche an ihrer Bluse und schaute nachdenklich. »Er ist zwar zu Hause, aber er muss regelmäßig zur Nachsorge. Er darf sich nicht überanstrengen. Ich glaube, dass das keine so gute Idee ist.« Sie streichelte dem Bernhardiner den Kopf. »Bernie ist ja auch ein ziemlicher Wirbelwind.«
»Das ist doch mal eine klare Ansage.«
Rita forschte in seinem Gesicht nach irgendeiner Regung. Was hoffte sie zu entdecken? Vielleicht Verzweiflung? Er ermittelte mittlerweile in sechs Mordfällen. Seine Mutter lag sterbenskrank in der Charité. Er musste sich um eine neue Bleibe kümmern. Und nun brauchte er auch noch eine Idee, wo er tagsüber seinen Hund unterbringen konnte. Sonst noch Fragen?
Berger trottete herbei. »Was hat die Witwe gestern gesagt?«
Na also!
Rita schaute ihn aufmerksam an. »Sie kennt keinen Dossantos. Ihr Mann hat nie ein Wort über ihn verloren, und sie versteht überhaupt nicht, was mit ihr gerade geschieht«, knurrte Kalkbrenner.
»Was passiert denn mit ihr?«
»Rita!«
Jetzt starrte ihn auch Berger über seinen gigantischen Schnurrbart hinweg neugierig an. Vergrätzt flüchtete Kalkbrenner in sein Büro.
Gut möglich, dass er eben eine Spur zu ruppig gewesen war. Und ja, er war in der Angelegenheit nicht nach Vorschrift vorgegangen. Aber dass ihn jetzt jeder schief anschaute, das ging ihm mächtig gegen den Strich.
Ein Briefkuvert mit dem Porträt der Prostituierten lag auf seinem Schreibtisch. Dr. Franziska Bodde hatte sich mal wieder selbst übertroffen. Wenigstens eine, die das Wesentliche nicht aus den Augen verlor.
Kalkbrenner wählte die Telefonnummer des LKA. Eine brummige Stimme meldete sich: »Harenstett.«
»Kalkbrenner hier.«
»Ach.«
»Ich habe eine Bitte …«
»Wenn sie nicht Dossantos betrifft.«
»Das weiß ich noch nicht.«
Ein
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