Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Hirschfeldt. »Wir zwei müssen uns noch einmal unterhalten.«
Der fordernde Unterton in seiner Stimme gefiel Hönig nicht. Trotzdem nahm er wieder Platz und tauschte sich für den Rest des Abends mit Sadi Vegatowski über die neuesten Weinlesen aus. Das kam ihm gelegen. Weil er keinerlei Wissen darüber besaß, Sadi aber umso mehr, brauchte er kaum zu reden.
Nacheinander verabschiedeten sich die Gäste. Schließlich war Hönig mit Frieder allein im Zimmer. »Was wolltest du mit mir bereden?«
»Du wirkst so angespannt«, stellte Frieder fest.
Hönig zwang sich zu einem Lächeln, aber nicht zur Wahrheit. »Die letzten Tage, der ganze Stress, das geht nicht spurlos an mir vorbei.« Erstaunlich, wie leicht die Lüge über seine Lippen kam. »Immerhin habe ich 15 Jahre mehr auf dem Buckel als du.«
»Ist Martina aus dem gleichen Grund daheimgeblieben?«
»Ja, sie ist ebenfalls fertig.« Auch diese Ausflucht fiel ihm nicht wirklich schwer. Andere Gäste waren ebenfalls ohne Partner gekommen, Claudia Kielinger und Sadi Vegatowski zum Beispiel. »Sie wollte sich ein bisschen ausruhen.«
»Schade, ich hätte mir gewünscht, dass sie heute bei uns gewesen wäre.« Patrizia war während der letzten Worte wieder ins Zimmer gekommen. Sie ließ sich neben ihrem Mann nieder, lehnte den Kopf an seine Schulter und umschloss mit den Fingern seine Hand.
Hönig neidete ihnen dieses Glück. Zugleich schalt er sich für dieses schäbige Gefühl.
Schäm dich!
Frieder hatte sich sein Wohlergehen redlich verdient, den Erfolg, das Haus, die Familie.
»Ich hätte nämlich gerne mit euch beiden gesprochen«, sagte von Hirschfeldt.
Ein flaues Gefühl ergriff von Hönig Besitz. »Worüber denn?«
»Erinnerst du dich? Gestern hatte die Kanzlerin ein Gespräch mit mir.«
Hönig traute sich nicht einmal zu schlucken. »Natürlich erinnere ich mich.«
»Es ging selbstverständlich nicht um die
Scorpions
.«
»Das hattest du schon gesagt.«
»Und auch nicht um deinen Sohn.«
Hönig atmete durch. Der Kloß in seinem Hals wurde zwar kleiner, war aber noch nicht verschwunden.
»Es war ein kurzes, aber sehr vertrautes Gespräch. Es wissen noch nicht viele davon, aber dir möchte ich es sagen.«
Hönig spannte seinen Körper an.
»Die Kanzlerin möchte, dass ich bei den nächsten Wahlen auf Bundesebene kandidiere. Sie will mich zum Justiziar der Bundesfraktion machen und bietet mir in absehbarer Zeit den Posten des Bundesinnenministers an.«
Alle Anspannung fiel von Hönig ab. Er spürte förmlich, wie ihm die Augen aus den Höhlen traten. »Du sollst Nachfolger von Dr. Karschle werden? Dieses Angebot hat sie dir unterbreitet?«
»Warum sollte ich dich belügen?«
Hönig fiel Frieder um den Hals. »Mensch, Gratulation! Ich freue mich für dich. Du hast es also wirklich geschafft!«
»Nein, mein Freund,
wir
haben es geschafft. Wir beide.«
»Meinst du das ernst?«
»Hey, es ist nicht alles verlogen, was …«
Wie unter einem Peitschenhieb zuckte Hönig zusammen.
»Entschuldige.« Von Hirschfeldt legte ihm einen Arm um die Schulter. »Ich kann doch meinen treuen Gefährten und besten Freund nicht in der Provinz versauern lassen, während ich in der Bundespolitik Karriere mache.«
»Das ist …« Hönig drückte eine Träne weg, unschlüssig darüber, was ihn mehr rührte: die gute Nachricht oder die Tatsache, dass sein Freund,
sein bester Freund
,
ihm das Gefühl vermittelte, nicht allein zu sein. »Was soll ich sagen?«
Von Hirschfeldt führte ihn hinaus in den Garten, ans Büfett, wo er sich die letzten Fischspieße nahm. »Sag mir einfach, dass du mit deinem Sohn gesprochen hast.«
Alle Zuversicht, die Hönig eben noch verspürt hatte, war mit einem Mal verschwunden. Plötzlich war ihm kalt. Seine Hand hielt erstarrt über den Käsehäppchen inne, auf die er keinen Appetit mehr verspürte.
»Hast du ihm gesagt, dass er sich so einen Auftritt wie heute Mittag nicht mehr erlauben darf? Es steht eine Menge auf dem Spiel, gerade jetzt, nach dem Angebot der Kanzlerin.«
»Ja«, erklärte Hönig langsam.
»Ob er will oder nicht: Als dein Sohn trägt auch er eine enorme Verantwortung.«
Auf deine Verantwortung scheiße ich!
Aber das war ganz gewiss nicht das, was er hören wollte. Sein Freund sah ihn erwartungsvoll an. Hönig erklärte und legte dabei alle Kraft in seine Stimme: »Es wird nicht wieder vorkommen.«
»Sehr schön«, sagte von Hirschfeldt.
Hastig griff Hönig nach einem Käsesandwich. Er vergrub die Zähne
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