Gier (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Wohnzimmer. Das Feuer im Kamin prasselte leise. Er löschte es und ging in sein Arbeitszimmer. Dort setzte er sich in den Sessel. Sein Lieblingsort, gegenüber dem Schreibtisch, umgeben von Bücherregalen. Eine Welt für sich, mit einem großen Panoramafenster, das hinaus auf den Garten ging. Hier verbrachte er seine Zeit, wenn es Unklarheiten gab, die beseitigt werden mussten. Wenn er über Lösungsansätze nachdenken wollte. Wenn er wichtige Entscheidungen zu treffen hatte.
Käse, Salami und Obst setzten im Garten allmählich Grind an. Auf den Silberplatten lagen die Häppchen in einem kruden Durcheinander, so wirr wie seine Empfindungen in diesen Sekunden.
Ein Geräusch lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Tür. Patrizia stand auf der Schwelle. Ihr Gesicht war schmal, die Augen waren knallblau und wirkten hellwach. Sie trug große Ohrringe und ein Nachthemd, hauchdünner Stoff mit feiner schwarzer Spitze, die sich an ihre glatte, weiche Haut schmiegte. »Magst du nicht zu mir ins Bett kommen?«
Sie ging vor ihm in die Hocke. Ihre Arme umschlangen seinen Hals. Die Finger massierten seinen Nacken. Ein wunderbares Gefühl, das seine Anspannung löste. Die beunruhigenden Gedanken vertrieb es aber nicht.
»Geht es dir nicht gut?«
»Doch, doch«, versicherte er. »Ich will nur noch kurz allein sein.«
»Den Moment genießen?«
»Ja«, log er.
Sie küsste ihn und verließ den Raum. Trotz der drei Kinder, die sie bereits geboren hatte, war sie eine schlanke Frau geblieben, sah gut aus, war humorvoll und voller Energie. Zweifelsfrei das Beste, was ihm in seinem Leben widerfahren war. Sie managte die Familie und hielt ihm den Rücken frei. Ohne ihre Hilfe hätte er es niemals so weit gebracht.
Aufgewachsen in bescheidenen, konservativen Verhältnissen im Bremer Vorort Thedinghausen war von Hirschfeldt, geborener Sonntag, bereits während der Schulzeit dem Beispiel seines Vaters gefolgt und hatte sich im Gemeindeleben zu engagieren begonnen. Er war Mitglied beim Deutschen Roten Kreuz, bei der DLRG und der Katholischen Landjugend geworden. Er hatte Gefallen an der Politik gefunden, am Gestalten, dem Mitbestimmen, Entscheidungentreffen und Verantwortungübernehmen.
Noch als Teenager war er der Jungen Union beigetreten, deren Landesvorsitzender er bald geworden war. Nach seinem Abitur hatte er es in den Gemeinderat von Thedinghausen geschafft, war dort zum Fraktionsvorsitzenden und bald darauf auch zum Vorsitzenden des Kreisverbandes aufgestiegen.
Für sein Studium der Rechtswissenschaften an der FU Berlin war er in die Hauptstadt gegangen, wo ihm der Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus gelungen war. Die Hochzeit mit der Gräfin Patrizia von Hirschfeldt hatte ihm nicht nur deren Adelstitel verschafft, sondern dank ihres einflussreichen Vaters auch die richtigen Beziehungen.
Heute lebte er mit Patrizia, drei Kindern, einer Katze und einem Hund in dem herrschaftlichen Haus in der Villenkolonie von Grunewald und war Fraktionschef der Berliner CDU. Zusammen mit seinem besten Freund und Fraktionsvize Karl-Edmund Hönig gehörte er zur populären Spitze der Partei. Und seit heute stand er kurz vor dem Sprung in die Bundespolitik.
Doch wer sprang, konnte auch stürzen.
Du verstehst, was ich meine?
O ja, er hatte verstanden.
Jetzt bedauerte es von Hirschfeldt, den teuren Richebourg-Domaine de la Romanée-Conti Big geöffnet zu haben.
31
Kalkbrenner tauchte in eine Welt aus Kissen ein. Auf dem Boden, den Sofas, den Tischen, den Schränken, buchstäblich überall verstreut lagen handgeklöppelte, aufwendig bestickte, kunstvoll verzierte Raritäten aus Osteuropa, Afrika und anderen Teilen der Erde. Der Raum glich einem Museum für Kissen.
Als es mit ihren Eheproblemen begonnen hatte, hatte Ellen sich ständig in ihre Kissen geflüchtet und daran gezupft. So als könnte sie auf dem Weg alle Probleme lösen.
Zupf und weg damit.
Irgendwann hatte er diesen Wust aus Stoff nur noch gehasst. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass er ihn noch einmal so gemütlich finden würde. Doch nun war er gesättigt, hielt ein Glas Wein in der Hand, die Kerzen flackerten auf dem Tisch und tauchten den Raum in ein behagliches Licht. Irgendwann fiel ihm auf, wie gut Ellen aussah. Den Sommer über hatte sie Farbe bekommen und ihr Haar gefärbt, was sie ein paar Jahre jünger wirken ließ. Das enge Kleid gewährte ihm eine nicht gewagte, aber doch reizvolle Aussicht.
Sie bemerkte seinen Blick und errötete abermals. »Wo wirst du
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