Gier, Kerstin
sich unerwünschte Gedanken
durch meinen Kopf schlängelten wie wild wuchernde fleischfressende Pflanzen. Gideon hat
mir nur was vorgespielt. Er liebt mich nicht.
»Wahrscheinlich
muss er ohnehin kaum etwas tun, damit die Mädchenherzen ihm zufliegen«, hörte ich
den Grafen von Saint Germain mit seiner sanften, tiefen Stimme sagen, immer
und immer wieder. Und: »Nichts ist leichter zu berechnen
als die Reaktion einer verliebten Frau.«
Tja, und
wie reagiert eine verliebte Frau, wenn sie erfahren hat, dass sie angelogen und
manipuliert wurde? Richtig: Sie telefoniert stundenlang mit ihrer besten
Freundin, um dann schlaflos im Dunkeln zu sitzen und sich zu fragen, warum zum
Teufel sie auf diesen Typ hereingefallen ist, während sie sich gleichzeitig vor
Sehnsucht die Augen aus dem Kopf heult... - in der Tat leicht zu berechnen.
Die
Leuchtziffern auf dem Wecker neben meinem Bett zeigten 3:10 Uhr an, was
bedeutete, dass ich wohl doch eingenickt sein musste und sogar mehr als zwei
Stunden geschlafen hatte. Und jemand - meine Mum? - musste hereingekommen
sein und mich zugedeckt haben, denn ich erinnerte mich nur noch daran, wie ich
mit hochgezogenen Knien auf dem Bett gekauert und meinem Herzen beim viel zu
schnellen Schlagen gelauscht hatte.
Seltsam
eigentlich, dass ein gebrochenes Herz überhaupt noch schlagen konnte.
»Es fühlt
sich an, als ob es nur aus roten, scharfkantigen Splittern besteht, die mich
von innen aufschlitzen und verbluten lassen!«, hatte ich Leslie den Zustand
meines Herzens zu beschreiben versucht (okay, das klingt mindestens so pathetisch
wie das von dem Röcheltypen aus meinem Traum, aber manchmal ist die Wahrheit
eben irgendwie ... kitschig). Und Leslie hatte mitleidig gesagt: »Ich weiß
genau, wie du dich fühlst. Als Max mit mir Schluss gemacht hat, dachte ich auch
zuerst, ich müsste vor Kummer sterben. Und zwar an multiplem Organversagen.
Weil an all diesen Redensarten was Wahres dran ist: Liebe geht an die Nieren,
schlägt auf den Magen, bricht das Herz, schnürt die Brust zu und ... äh ...
läuft einem als Laus über die Leber ... Aber erstens geht das vorbei, zweitens
ist die Sache nicht so hoffnungslos, wie sie dir erscheint, und drittens ist
dein Herz nicht aus Glas.«
»Stein,
nicht Glas«, korrigierte ich sie schluchzend. »Mein Herz ist ein Edelstein, den
Gideon in tausend Stücke zerbrochen hat, genau wie in Tante Maddys Vision.«
»Hört sich
zwar irgendwie cool an, aber - nein! In Wirklichkeit sind Herzen aus ganz
anderem Material gemacht. Das kannst du mir wirklich glauben.« Leslie räusperte
sich und ihr Tonfall wurde ganz feierlich, so als ob sie mir gerade das größte
Geheimnis der Weltgeschichte offenbarte: »Es handelt sich um ein viel zäheres,
unzerbrechliches und immer wieder neu formbares Material. Nach einer geheimen
Rezeptur hergestellt.«
Nochmaliges
Räuspern, um die Spannung zu steigern. Ich hielt unwillkürlich die Luft an.
»Wie Marzipan!«, verkündete Leslie.
»Marzipan?«
Für einen kurzen Moment hörte ich auf zu schluchzen und musste grinsen.
»Ja,
Marzipan!«, wiederholte Leslie todernst. »Das gute mit dem hohen Mandelanteil.«
Beinahe
hätte ich gekichert. Aber dann fiel mir wieder ein, dass ich ja das
unglücklichste Mädchen auf der ganzen Welt war, und ich sagte schniefend: »Wenn
das so ist, dann hat Gideon ein Stück von meinem Herzen abgebissen! Und die ganze Schokolade drum herum hat er auch abgeknabbert. Du
hättest sehen sollen, wie er geguckt hat, als ...« Bevor ich wieder von vorne
anfangen konnte, seufzte Leslie vernehmlich.
»Gwenny,
ich sag's wirklich nur ungern: Aber dein Gejammer nützt keinem was. Du musst
damit aufhören!«
»Ich mache
es nicht mit Absicht«, versicherte ich ihr. »Es jammert in einem fort aus mir
heraus. In der einen Minute noch war ich das glücklichste Mädchen der Welt und
dann sagt er mir, dass . ..«
»Okay,
Gideon hat sich wie ein Mistkerl verhalten«, fiel Leslie mir rasch ins Wort.
»Wenn man auch nicht versteht, warum. Ich meine, hallo? Wieso
sollten verliebte Mädchen leichter zu lenken sein? Ich würde sagen, es ist
genau umgekehrt. Verliebte Mädchen sind wie tickende Zeitbomben. Man kann nie
wissen, was sie als Nächstes tun. Wenn Gideon und sein Chauvi-Freund, der Graf,
sich da mal nicht kolossal vertan haben.«
»Ich
dachte wirklich, er liebt mich. Dass er das alles nur gespielt hat, ist so
...« Gemein? Grausam? Kein Wort schien meine Gefühle ausreichend beschreiben
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