Gier nach Blut
heute?«
»Sicher.«
»Dann sollten wir doch mal zu ihr fahren, denke ich.«
»Wie Sie wollen. Aber eines möchte ich Ihnen sagen, John. Die Rechnung hier zahle ich.«
»Wie Sie wollen. Darf ich mich trotzdem bedanken?«
Sie schenkte mir ein Lächeln. »Sehr gern.«
Unser Verhältnis war etwas entspannter geworden. Ich sah Elvira Marquez ah, daß ihr eine Last von der Schulter genommen war. Mein Blick glitt zum Nebentisch hinüber, wo sich Shao und Suko das Essen schmecken ließen. Ich nickte den beiden kurz zu, was sie beruhigen sollte, ansonsten behandelte ich sie wie Fremde.
Der Ober wollte wissen, ob es uns geschmeckt hatte, was wir durchaus bejahen konnten.
»So, und nun zu Ihrer Großmutter«, sagte ich so laut, daß Suko und Shao es mitbekamen.
»Ja, gern.«
»Wohin müssen wir denn?«
»In den Norden, nicht weit vom Bahnhof Paddington entfernt.«
»Da nehmen wir meinen Wagen.«
»Das ist nett, ich bin nämlich ohne.«
Wir verließen das Lokal. Mir fiel auf, daß Elvira Marquez für eine Frau ungewöhnlich groß war. Vor allen Dingen von den männlichen Gästen wurde sie bewundert.
Meine Gedanken beschäftigten sich mit einer anderen Frau, die Sarah Helen Roberts hieß. War sie tatsächlich eine Vampirin, oder beruhte alles auf einen Irrtum?
Auch wenn ich meinem Gefühl nachging, konnte ich die Antwort nicht finden…
***
Die Gegend war ziemlich trist und düster. Neue Häuser standen nicht in der Nähe, und auch das Rattern der in den Bahnhof einlaufenden Züge war zu hören.
Die Familie Marquez wohnte in einem hohen grauen Haus, allerdings nicht an der Frontseite, sondern in einen Hinterhof, der eigentlich keiner war, sondern ein großer Platz, auf den ebenfalls Häuser standen, allerdings niedriger und nur drei und nicht sechs Stockwerke hoch.
Meinen Wagen konnte ich abstellen, soviel Platz war noch. Als wir ausstiegen, sprach Elvira mit einigen Jugendlichen und erklärte ihnen, daß mein Rover für sie tabu war.
»Man kann ja nie wissen«, sagte sie.
»Stimmt.«
Wir gerieten in das Licht einer Außenlaterne. Ich hatte Elvira vorgehen lassen. Mit einem flachen Schlüssel öffnete sie das Schloß und stieß die Tür auf.
Der Hausflur war eng, und es roch hier für meine Nase ziemlich fremd.
Nach Gewürzen und exotischen Düften, die ich nicht auseinanderhalten konnte. »Mit wem wohnen Sie hier zusammen?«
Elvira hatte schon die Treppe erreicht. Sie blieb auf der dritten Stufe stehen und drehte sich um. »Ich wohne hier überhaupt nicht. Meine Mutter und meine Großmutter leben hier. Ob meine Mutter allerdings in der Wohnung ist, weiß ich nicht. Sie wird noch in der Wäscherei arbeiten, aber Ricca, die Großmutter, ist da.«
»Das reicht ja auch, denke ich.«
»Bestimmt.« Elvira drehte sich um und setzte ihren Weg fort. Wir mußten bis in die dritte Etage gehen. Dort knipste die Frau das Flurlicht an, das nur einen trüben Schleier verbreitete und den grauen Filz kaum überdecken konnte. »Ich will ja nicht von menschenunwürdig sprechen, John, aber viel fehlt nicht mehr.«
»Da könnten Sie recht haben.«
Vor einer ebenfalls grauen Tür blieb sie stehen und schloß auf. Licht erwartete uns. Es beleuchtete eine Küche, die ziemlich groß war. Sie diente zugleich als Wohnraum, denn in der zweiten Hälfte standen ein Sofa und zwei kleine Sessel.
Elvira wies auf die Liege. »Dort schläft meine Mutter.«
»Und Ricca?«
Sie deutete auf eine zweite Tür. »Dahinter liegt ihr Raum. Nicht mehr als eine Kammer. Die Toilette ist übrigens auf dem Flur. Hier hat sich nicht viel verändert in den letzten Jahrzehnten.«
Das war zu sehen. Vor der zweiten Tür blieb Elvira stehen und klopfte behutsam an. Wir bekamen keine Antwort, was die junge Frau verwunderte. »Komisch ist das schon. Meine Großmutter geht nie vor Mitternacht ins Bett. Und Mitternacht haben wir noch nicht.«
»Stimmt. Versuchen Sie es mal.«
»Das werde ich auch.«
Sie öffnete die Tür, und sofort fingen die Flammen zweier Kerzen an zu flackern. Ihr Licht reichte aus, um fast das gesamte Zimmer zu erhellen, und es fiel auch auf eine Gestalt, die bewegungslos am Boden lag. Elvira sah sie, ich sah sie.
Auf der Türschwelle blieb die Frau stehen und stieß einen leisen Schrei aus.
Elvira war geschockt. Ich weniger. So drängte ich mich an ihr vorbei und lief auf die Frau zu. Sie lag auf dem Rücken und bewegte sich nicht. Ihr Blick war gegen die Decke gerichtet, und als ich mich auf die Knie niederließ, da stockte
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