GIERIGE BESTIE
eine destruktive Handlung setzt. Eben durch ein vernünftiges Vorgesetzten-Untergebenen-Verhältnis, entsprechende Ausgleichsmöglichkeiten, aber vor allem durch eine vernünftige und geradlinige Kommunikation kann die Wahrscheinlichkeit aber wieder minimiert werden. Sehr viel, wenn nicht alles, hängt mit dem eigenen Selbstwertgefühl zusammen“, dozierte ich weiter. Ich wollte meine Ausführungen mit der ergänzenden Ausführung meiner Malerei etwas unterlegen, angelte mir dazu den dicken Edding und riss die Kappe so ungeschickt herunter, dass ich durch die plötzlich fehlende Gegenwehr mit dem fetten abgeflachten Ende quer über meine italienische Krawatte und das Hemd fuhr. Das anschließende Wort, das mir in französischer Sprache entfuhr, das, so hoffte ich zumindest, die wenigsten verstehen würden, war der Situation und auch allen Anwesenden nicht würdig, führte aber, zu meinem Erstaunen, zu einer gewissen Auflockerung der Situation. Was der Sache selbst kurzzeitig guttat, denn langsam aber sicher bemerkte ich, dass es in diesem Raum zu knistern begann.
Ich verzichtete bewusst darauf, den Namen Ello Dox für die Demonstration meines Beispiels herzunehmen und fügte als ausführende Ergänzung zu der kleinen Wellenlinie, die ich im oberen Drittel von links nach rechts über das Blatt zog, hinzu: „Wenn Sie einen neuen Mitarbeiter in Ihrer Institution aufnehmen, Sie bieten ihm einen guten Vertrag an, dann wird er bei etwa 80 bis 90 Prozent seiner Selbstzufriedenheit, einer Sinuskurve gleich, seiner Arbeit nachgehen. Er wird kleine Erfolge feiern und kleine Misserfolge, wie Diskrepanzen oder eine kleine Diskussion mit dem Vorgesetzten, gefahrlos gedanklich abarbeiten und mit ihnen leben können. Erfolg und Misserfolg werden sich die Waage halten. Der Ablehnung eines eingereichten Projektes wird eine kleine Beförderung folgen und die Gehaltserhöhung oder die belobigende Anerkennung durch ein Mitglied der Geschäftsleitung kompensiert die allzu persönlich genommene Kritik im Falle einer Fehlkalkulation. Wenn aber an einem ganz bestimmten Punkt dieser Sinuskurve eine berufliche Stress-Situation über eine längere Zeit auf den Grad des Selbstwertgefühles zu drücken beginnt, wird es etwas schwieriger für den Mitarbeiter sein, aus einem kleinen Wellental wieder nach oben zu gelangen.“
Ich zeichnete einen kleinen Pfeil, mit einer fast zu spitzen Spitze, die fast bildlich in die Wellenlinie des Selbstwertgefühles stach. Dann zeichnete ich rasch einen zweiten Pfeil, der fast schon alleine durch die bildliche Darstellung es der Linie nahezu unmöglich machte, sich wieder nach oben zu bewegen. „Das“, hörte ich mich etwas leiser sagen, „ist die fehlende Identifizierung.“
Es war sehr leise, die Gliederkette starrte mich an und das kleine Männlein, das Mühe hatte, den Kopf waagrecht auf den Schultern zu halten, hatte aufgehört, auf seinen Tasten herumzuklopfen. „Wir alle identifizieren uns mit gewissen Dingen. Das beginnt beim Türschild und bei der persönlichen Art und Weise, wie wir uns den Schreibtisch einräumen. Stellen Sie sich vor, Sie würden morgen in Ihr Büro zurückkehren und auf Ihrem Türschild würde ein anderer Name stehen. Sie würden annehmen, dass Sie sich im Stockwerk geirrt haben. Sie würden die Türe öffnen und erkennen zwar Ihren Schreibtisch, aber können Ihre privaten kleinen Habseligkeiten, wie Kinderbilder, die persönliche Ansichtskarte oder die kleine Kinderzeichnung, nicht wieder finden. Jemand anderer hatte Ihren Platz übernommen. Entschuldigend versuchen Sie Ihren Vorgesetzten zu erreichen, der aber, dem Gesetz der logischen Fortsetzung folgend, ebenfalls nicht mehr da war. Plötzlich würde sich jemand bei Ihnen vorstellen, und zwar als Ihr neuer Chef.“ Bedrückende Stille.
„Ich habe es zugegebenermaßen etwas übertrieben. Aber gerade in Zeiten, in denen man aus rein ökonomischen Gründen umstrukturiert, vereinfacht, zusammenlegt, fusioniert, aufhebt, um schnellere und einfachere Abläufe zu schaffen, um“ – ich versuchte mich kurzzeitig in der Sprache mancher Beratungsfirmen – „Doppelgleisigkeiten zu vermeiden und die Effektivität zu steigern“ – aus meinem Mund klangen die beiden Worte so unglaubwürdig wie der tägliche Versuch, im Spiegel den Bauch einzuziehen, um festzustellen, dass man ohnehin schon abgenommen hat.
„Gerade in Zeiten des ständigen Wandels fördert sie den Verlust der Identifizierung. Nicht dass Sie glauben, ich
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