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GIERIGE BESTIE

GIERIGE BESTIE

Titel: GIERIGE BESTIE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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rechtfertigen.
    „Wenn ich heute darüber nachdenke, musste ich mich gar nicht rechtfertigen. Es war ein subjektives Gefühl. Können Sie das nachvollziehen?“, meinte er leise und ich hatte den Eindruck, dass er gedanklich in der Lage war, sich in die damalige Situation zurückzuversetzen. Es war auffallend, dass er nicht einmal an der Zigarette zog. „Verstehen Sie, ich habe nichts Falsches getan. Es war einfach ein subjektives Gefühl. Ich nahm das erste Mal an mir wahr, dass mir die eigene Institution fremd geworden war. Aber ich fegte diesen traurigen Gedanken vom Tisch, wie ein paar Brotkrümel nach der Gemeinschaftsjause in der Waldschenke.“
    Ich verhehle nicht den Umstand, dass Ello Dox mit seinen Schilderungen, seiner blumigen Sprache und seinen Metaphern mir allmählich sympathisch wurde. Vor allem aber, weil ich ein paar Äußerungen und zusammenfassende Darstellungen von ihm in der Tat nachvollziehen konnte. Ich wusste, dass ich mich damit auf gefährliches Terrain zubewegte, wie auf ein gekennzeichnetes Minenfeld, das aber gleichzeitig eine unglaubliche Faszination ausstrahlte. Würde ich nur annähernd an mir selbst entdecken, dass mir seine Ausführungen sympathischer wurden als jene Standpunkte, die ich zu vertreten hatte, müsste ich sofort abbrechen. Ich wusste, dass er ein Meister der Manipulation war, aber diese Sätze, die Sprache, die er verwendete, die Beispiele, die er brachte und vor allem seine privaten Äußerungen konnten nicht gespielt sein.
    „Ich hatte mein Leben gelebt, so wie ich es für richtig erachtete. Ich liebte die Firma, ich identifizierte mich zu 100 Prozent mit meiner Arbeit, las mich in Neuerungen ein und war zufrieden. Mehr durch Zufall, nämlich als ich begann, ein paar technische Neuerungen, die ich geprüft hatte, einzuführen und im verstärkten Maße mit der Finanzierungsabteilung kommunizieren musste, kam ich auch immer öfter in Kontakt mit meiner Frau. Ich wusste, dass sie krank war, aber so lebenslustig ich mein bisheriges Leben verbracht hatte, so intensiver fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Sie arbeitete in der Buchhaltung, wie Sie sicher wissen, und am Anfang bot ich ihr lediglich an, bei der Benützung ihres Computers behilflich zu sein. Technik, das war nicht ihre Welt, so kamen wir uns näher. Ich möchte nicht sagen, dass sie mir etwas verheimlicht hat, aber das Ausmaß ihrer Krankheit hatte ich nicht gewusst. Aber umso mehr war es für mich eine Herausforderung, als wir ein gemeinsames Kind erwarteten, für sie Tag und Nacht da zu sein. Je länger das dauerte, umso müder wurde ich aber und zum gleichen Zeitpunkt“ – er begann seine Zähne aneinanderzupressen – „hatte jemand das Badezimmerfenster geöffnet und unaufhaltsam kalte Winterluft in unsere Institution hereinströmen lassen.“
    Jetzt waren wir beide stehen geblieben und lehnten uns an das rautenförmige Gitter der Pont de la Machine. Es war zwischenzeitlich 23.10 Uhr geworden. Die Institution, El Presidente und der Beschluss der Staatsanwaltschaft für das freie Geleit waren extrem weit weg und Ello Dox erzählte seine Geschichte.
    „Es wäre vermessen zu behaupten, dass alles schlecht war, was neu eingeführt wurde. Aber ich hatte indirekt das Gefühl, und das ging nicht nur mir so, dass nicht die Institution Teil meines Lebens war, sondern dass ich zum Teilchen der Institution wurde. Man schob und zerrte, man fügte zusammen, rekrutierte ausschließlich nach der Vorgabe des Fachwissens, ohne sich Gedanken darüber zu machen, um welche Person es sich handelte.“ Seine Stimme wurde allmählich weich. Er sprach leise, benützte ab und zu seine Hände, um zu argumentieren und der Rauch, den er ja beständig in seine Lungen hineinsog, kam manchmal fast begleitend, unterstützend aus seinem Mund – ja ich war an einem bestimmten Punkt sogar geneigt, ihn um eine Zigarette zu bitten, obwohl ich dem Laster schon lange abgeschworen hatte.
    „... die Daten zu sichern oder zu vernichten. Ello Dox der Justiz zuführen ...“
    Ich drehte mich um, sodass ich ins Wasser blicken konnte und bemerkte direkt vor dem Stützpfeiler, bei dem sich das Wasser, bevor es durch die abgerundete Seite der Steinstütze geteilt wurde, leicht nach oben bog, einen Holzbalken, der im Wasser lag. Er schien keine Funktion zu haben, war vielleicht beim letzten Hochwasser hängen geblieben, aber ich verwendete den Umstand, dass Holz so schwer an der Last des Wassers zu tragen hatte, dass es nicht mehr schwamm,

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