GIERIGE BESTIE
Durchsuchung der Habseligkeiten fanden sich aber teilweise kleine Vermögen in Form von Bargeld, Gold, unter Aufbietung vieler Entbehrungen mühsam zusammengesparte Geldbündel, obwohl die Leute teilweise in ihren Wohnungen froren, hartes trockenes Brot aßen und sich nicht den geringsten Luxus gönnten. Manche von ihnen waren in einen regelrechten Verarmungswahn hinein gekommen, der manchmal das Ende einer derartigen Entwicklung sein kann. Wer kennt nicht einen älteren Menschen, dem man vorsichtig zu verstehen gibt, er könne sich jeden Tag frisches Gemüse und Fleisch im Supermarkt einkaufen und trotzdem hält er sich in seinem Keller vier oder fünf prall gefüllte Tiefkühlschränke. Dezent versucht man darauf aufmerksam zu machen, dass der Stromausfall in die Katastrophe führen würde. Erfolglos.
Manche der Anwesenden in der Institution hatten europäische Wurzeln und verstanden daher, wovon ich sprach. Als ich ihnen erklärte, dass einige Vertreter der älteren Generation mit dem sehr deutlichen Hinweis, man habe den Krieg nicht mitgemacht, alle Bedenken von Stromausfall und der Sinnlosigkeit der angefüllten Tiefkühlschränke vom Tisch wischen, zeigte mir das positiv zustimmende Nicken einiger Anwesenden, dass sie mein Beispiel verstanden hatten.
fünfundzwanzig
10. Mai 2005, 23.30 Uhr, Genf, Pont de la Machine. „Warum haben Sie dem Personalchef geschrieben?“, fragte ich ihn sehr direkt. Ich konnte ihn einfach nicht jeden Satz beenden lassen.
„Warum der Personalchef und nicht El Presidente?“
Er wirkte unsicher, aber ruhiger.
„Ich hatte es Ihnen ja schon gesagt. Ich hatte es auch bei El Presidente versucht, aber erst zu einem Zeitpunkt, als überhaupt nichts mehr ging. Nun hören Sie mir gut zu.“
Plötzlich erzählte mir Ello Dox in einem Guss, als ob er es geprobt hätte, von seinen ersten Erinnerungen in der Kindheit, die er auf dem Land verbrachte, von seiner Schulzeit und seinen ersten Abenteuern. Von der Verbindung zur Institution, die, wie er selbst behauptete, über einen persönlichen Mentor an ihn heran getragen wurde. Früh bewarb er sich, denn es war sein Traum gewesen, in dieser Institution zu arbeiten. Er erzählte mir von seinen Hoffnungen und seinen Ängsten, von den durchgearbeiteten Nächten genauso wie von den nicht konsumierten Urlaubs tagen. Auch wenn ich 50 Prozent von dem wegstreichen würde, was er mir mitgeteilt hatte, müsste ich aus tiefster Überzeugung heraus sagen: Er war dieser Institution bedingungslos ergeben. Er liebte und achtete sie. Er pflegte sie wie sein eigenes Leben. Er probierte Dinge aus, kannte alle und jeden, war kommunikativ, einfühlsam und ein begehrter Vortragender. Er besaß Witz, Charme und ein Quäntchen Abenteuerlust. Er hasste Bürokratie, die Starrheit mancher Systeme, aber das war für ihn jahrelang kein Thema, denn er hatte sich seine Freiräume geschaffen. Ja, vielleicht war der eine oder andere sogar ein wenig neidisch auf ihn, weil es Zeiten gab, wo man fast der Meinung war, Ello Dox hätte keinen Vorgesetzten. Er sprach mit allen und jedem. Er bekam überall einen Termin, konnte Vorgaben machen, Vorschläge, aber vor allem etwas zeichnete ihn aus: seine Liebe zum Detail in seiner fachlichen Kompetenz. Anstatt Fehler anderer aufzuzeigen, korrigierte er sie einfach. Sein Herz schlug für jene, die nicht so viele Möglichkeiten hatten wie er. Ja, er zögerte sogar nicht, sich manchmal in ein etwas härteres und intensiveres Gespräch mit einem der mächtigen Repräsentanten in dieser Institution einzulassen. Aber seine Gespräche waren immer sachlich, inhaltlich korrekt, menschlich und emotionell tadellos verlaufen.
Aber so unmerklich und schleichend – ich mochte sein Beispiel –, wie das geöffnete Badezimmerfenster im Winter aus feuchter Luft langsam aber sicher Nebel produziert, sich die Fenster beschlagen und in leichten, walzenförmigen Bewegungen der Dampf im oberen Drittel aus dem Fenster zieht, war das Klima in der Institution anders geworden. Es waren zunächst diese leichten Korrekturen, die ihn nicht weiter störten, an denen er teilweise mitgearbeitet hatte. Dann folgten die Regeln und nochmals einige Zeit später die ersten Überprüfungen. Zunächst Fragen, die ihn nicht störten, denn wer konnte ihm fachlich das Wasser reichen? Trotzdem, die Fragen wurden bohrender und eines Abends sah er sich damit konfrontiert, dass er die Frage nicht mehr beantworteten wollte, er hatte subjektiv das Gefühl, er musste sich
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