GIERIGE BESTIE
daher dann nicht verwundern, dass die fehlende Rückmeldung – das am Anfang noch ausgleichende und damit auch eingreifende Gespräch – unwillkürlich in den Beginn der 50-Prozent-Katastrophe führt. Frustriert, müde, alleine, der manchmal noch angebotenen Kommunikation bereits überdrüssig, teilweise mit Alkohol und Tabletten angefüllt, beginnt man jetzt darüber nachzudenken, wie man das eigene Selbstwertgefühl wieder in die Höhe bringen kann.
Was folgt, sind die üblichen Vorboten des Wechsels von 25 auf 50 Prozent, wie schriftliche Eingaben, kleine physische, psychische oder verbale Drohungen sowie eine anonyme E-Mail, wobei der Ton nun etwas schärfer gehalten werden kann. Diese anonymen Schreiben tauchen jedoch nicht urplötzlich in der Firma auf, sondern müssen eigentlich als logische Fortsetzung davon angesehen werden, dass den Betreffenden keiner mehr zugehört hat. Aber so, wie es von der Phantasie über den ersten ernsthaften Gedanken zur vorbereitenden Planung der planenden Handlung und der tatsächlichen Ausführung eines Verbrechens ein sehr weiter Weg ist, so lange dauert auch der innere Kampf von Menschen, bevor sie vom ersten Gedanken dazu übergehen, eine wirklich ernsthafte Drohung auszusprechen oder niederzuschreiben, jemanden zu nötigen oder gar ernsthaft zu gefährden.
Waffen sind ein untrügliches Anzeichen dafür. Wer – außer jenen, für die sie zur Durchführung ihrer beruflichen Tätigkeit absolut notwendig erscheinen – außerhalb dieses normalen und eindeutig geregelten Verhaltens plötzlich beginnt, mit Waffen am Arbeitsplatz zu erscheinen, bringt eines damit sehr klar zum Ausdruck: Mein Selbstwertgefühl ist kaputt. Alles in allem sind es kleine, fast unmerkliche Bewegungen und Handlungsabläufe, die alleine betrachtet nichts darstellen, aber nicht unsichtbar sind, die in ihrer Summe jedoch ein geschlossenes Bild ergeben.
Menschen, die massiv unter Druck stehen, denen die Identifizierung abhandengekommen ist und die durch widrigste Umstände auch noch mit privaten Problemen belastet sind, verändern in der Regel ihr Verhalten auf drei verschiedenen Ebenen. Sie ändern es der Institution, dem Arbeitgeber gegenüber, ohne an konkrete Personen zu denken oder gegen bestimmte Personen zu handeln. Sie geben mit Nachdruck immer wieder an, wie schön die Arbeitsstelle ist, wie stolz und glücklich sie sind, in dieser Institution zu arbeiten. Und trotzdem sprechen sie unter Freunden oder der von etwas mehr Alkohol gezeichneten Weihnachtsfeier extrem schlecht über die Firma. Die Aus sagen sind nicht mehr ehrlich. Sie werden zur eigenen Lebens lüge und werden häufig dadurch kompensiert, indem viele Dinge minimalisiert, andere wiederum als übertrieben groß dargestellt werden.
Sie verändern ihr Verhalten Personen der Institution oder der Firma gegenüber, indem hohes Interesse sehr rasch von unwirscher Zurückweisung und Desinteresse abgelöst wird. Es kommt zu übertrieben häufigen Kontaktaufnahmen mit Personen der gleichen Firma, obwohl dies inhaltlich und von der Arbeitstätigkeit her gar nicht notwendig ist oder genau zum Gegenteil, zum Abbruch, ja teilweise sogar zur Verhinderung der Möglichkeit anderer, mit ihnen selbst Kontakt aufnehmen zu können. Und schließlich verändern sie auf einer dritten Ebene das Verhalten sich selbst gegenüber. Das Haupthaar wird länger, der Rasierapparat wird zum unnützen Instrument im Badezimmer, Hemd, Krawatte und Sakko könnten teilweise als Speisekarte der letzten Woche betrachtet werden. Der Schlaf verringert sich, dunkle Ringe bilden sich unter den Augen und die neu gekaufte Schachtel Zigaretten am Morgen wird bereits am späteren Vormittag als unnützes und leeres Stück Karton weggeworfen.
Subjektiv und ohne es wissenschaftlich belegen zu können, hatte ich bei den vielen Fällen von destruktivem Verhalten eine ganz bestimmte Persönlichkeit, vielmehr ein bestimmtes Persönlichkeitsmerkmal, sehr häufig festgestellt. Je öfter ich mit Vorgesetzten gesprochen, mit Mitarbeitern kommuniziert, mich schriftlich ausgetauscht oder Personalakten studiert hatte, war mir ein Punkt immer häufiger aufgefallen. Nämlich dass jene Menschen am Beginn ihres Einstieges in der Institution, in der sie später unangepasstes, schädigendes oder teilweise sehr gefährliches Verhalten zeigten, als sehr prinzipientreu galten. Ein Merkmal, was zumindest am Beginn der beruflichen Zusammenarbeit von Vorgesetzten und Untergebenen durchwegs als positiv
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