GIERIGE BESTIE
denken war. Ich fror ein bisschen, stellte mich in einer riesigen Freilufthalle unter, in der einige historische Kanonen aufgestellt waren. Gab es denn ein einziges Land, in dem nicht Gemälde, historische Waffen, ja ganze Museen Zeuge der Streitbarkeit und Streitlust errichtet und zur Schau gestellt waren? Hatte nicht er nach dem gleichen Recht und den biblischen Vorgaben einen Zahn für seinen eigenen Zahn gefordert? Nein, das Beispiel war schlecht, denn seine Waffen waren speziell. Er wollte jetzt nicht einen Zahn, er wollte das ganze Gebiss. Die Zukunftslosigkeit machte ihn blind. Welcher Angriff ist schon gerechtfertigt, wenn er aus blindem Hass heraus passiert?
Wehmütig strich ich mit meinen Fingern über eine der riesigen bronzenen Kanonen und dachte kurze Zeit ernsthaft darüber nach, ob es in den letzten zwei Jahrhunderten einen einzigen Tag gegeben hat, wo nicht irgendwo auf diesem Planeten Krieg geherrscht hätte. In diesem Moment blieb ein Polizeiauto stehen.
Das Seitenfenster wurde heruntergelassen und nachdem ein junger uniformierter Polizist mir in französischer Sprache etwas zugerufen hatte, gab ich ihm zu verstehen, dass ich seine Sprache nicht sprach und versuchte gleichzeitig so freundlich, höflich und harmlos zu wirken, wie das eben um zwei Uhr in der Früh möglich ist, wenn man über eine Waffe streicht.
Dann machte mich der junge Mann höflich aber bestimmt darauf aufmerksam, dass es verboten sei, die Waffen zu berühren.
Ich mochte seinen Satz, denn er zeigte auf, wie sich Wertigkeiten verschieben können, dass die Veränderungen tagtäglich in allen Bereichen des Lebens vonstatten gehen und beim heutigen Stand der Technik ein Neugeborener bis zu dem Zeitpunkt, wo er seinen ersten Schritt geht, wahrscheinlich eine gesamte technische Revolution verschlafen hat. Wie konnten denn Menschen, auch wenn sie noch so wissbegierig waren, ab einem gewissen Alter mit dieser Dimension mitkommen? War der Auftrag an den Polizisten, jeden davon abzuhalten, die tonnenschwere bronzene Kanone mit Fingernägeln zu beschädigen oder gar in die Hosentasche zu stecken oder schlimmstenfalls mit trockenem Pulver eine Kugel auf das Rathaus abzufeuern, nicht so gut wie derjenige, der ihn ausführte?
War es nicht gerade die Pflicht des Ausführenden, darüber nachzudenken, wie sinnvoll ein Auftrag ist? Manch einer will das nicht hören.
Was aber, wenn der Auftraggeber und der Ausführende unterschiedliche Sprachen sprechen, von anderen Voraussetzungen ausgehen, wenn ihre Bedürfnisse unterschiedlich waren? Dann waren wir wieder bei Missverständnissen, bei Ungeduld, bei falschem Verhalten und bei der angeblichen Unfähigkeit.
Die größte Herausforderung in den nächsten 100 Jahren wird die Art und Weise der Kommunikation. Das „Wie“ ist unbestritten. Die heutige Technik ermöglicht es, am Titicacasee zu stehen, eine Zigarette zu rauchen und zu Hause anzurufen, als ob man vor dem Küchenfenster stehen würde und sich mit dem Nachbarn unterhält. Die Frage ist also nicht so sehr die Möglichkeit der Technik, sondern ob auch alle in der Lage sind, den technischen Revolutionen Folge zu leisten. Ello Dox war ein Spezialist in allen technischen und elektronischen Belangen, trotzdem wollte er ein persönliches Gespräch führen, das aber in zunehmendem Maße, so scheint es zumindest, unbedeutender wird. Junge Menschen von heute schreiben sich lieber 240 SMS am Tag, anstatt sich einmal für eine Jause zu treffen. Wenn zwei Leute, die in der gleichen Firma arbeiten und nur durch eine drei Zentimeter dicke Holztüre getrennt sind, sich gegenseitig eine E-Mail schicken, um zu fragen, ob sie zum gleichen Zeitpunkt das Mittagessen einnehmen wollen, sollte ernsthaft darüber nachgedacht werden, wie wir in wirklichen Problemstellungen mit ganz einfachen Informationen umgehen.
Ich entschuldigte mich höflich beim Polizisten und zog mich zurück. Plötzlich überkam mich ein leichter Schauer. Was wäre, wenn Ello Dox bei Rot über die Kreuzung geht, ein Polizist ihn darauf aufmerksam macht und eine Personenkontrolle durchführt? Er stellt fest, dass Ello Dox international ausgeschrieben ist, und das Gespräch war ebenso beendet. Hätte ich ihn überhaupt weggehen lassen dürfen? Es gab aber keine andere Möglichkeit, ich wusste nicht, ob er wiederkommen würde, aber es sollten nun doch die Juristen darüber befinden, ob ich etwas falsch oder richtig gemacht habe.
„... Daten sichern oder vernichten und Ello Dox der
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