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GIERIGE BESTIE

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Titel: GIERIGE BESTIE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Müller
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wahrscheinlich die perfekte Verbindung.
    Vielleicht war es daran gelegen, dass man in zunehmendem Maße in Spitzenfunktionen Leute rekrutiert hatte, ausschließlich weil sie fachlich gute Referenzen aufwiesen. Nach welchen Kriterien wurde denn beurteilt, ob der junge Mann mit den handgenähten und klappernden Schuhen auch in der Lage war, mit jemandem ein vernünftiges Gespräch zu führen, der 25 Jahre älter war als er und für den er plötzlich aufgrund seiner Position ein Vorbild hätte sein müssen? Hatte ich nicht immer und immer wieder in größeren Familienbetrieben die ganz persönlich ausgestattete Vorhalle, das Zimmer des altehrwürdigen Begründers der Firma oder die persönliche kleine Ecke des ersten Vorstandsvorsitzenden angetroffen? Hatte ich nicht in alten Personalakten Papiere gefunden, dass man vor 40 oder 50 Jahren Rekrutierungsgespräche noch nach dem sonntäglichen Kirchgang durchgeführt hatte, wo junge Menschen aufgrund der Referenz und der Vorsprache des eigenen Vaters, der bereits in der Firma gearbeitet hatte, Fuß fassen konnten? Wo die Identifizierung mit dem Unternehmen auch nach Dienstschluss, zu Hause und in der Familienrunde hochgehalten wurde? War nicht Ello Dox das klassische Beispiel dafür?
    Und jetzt kam jemand, der nicht einmal das Jahr der Firmengründung wusste und der für sich in Anspruch nahm, aufgrund neuester Studien und Ergebnisse alles besser zu können. Plötzlich stand ich oberhalb der Mauer der Reformatoren, Mur des Réformateurs. Selbst um diese Uhrzeit konnte man den weißen Stein erkennen, aus dem die großen Reformatoren Guillaume Farel, Jean Calvin, Théodore de Bèze und John Knox gemeißelt, als Mahnwache der Weisheit, der Ehrfurcht und der Demut hier ihren Platz anlässlich des 400. Geburtstags von Calvin gefunden hatten.
    Ello Dox hatte sicher nicht richtig gehandelt! Er hatte Dinge entwendet, die nicht ihm gehörten. Er hat seinen Arbeitgeber enttäuscht und belogen und er hatte sich strafrechtlich schuldig gemacht – aber hatte er deshalb automatisch nicht weise gehandelt? Hatte er nicht selbst für sich in Anspruch genommen, endlich etwas tun zu müssen, um aufzuzeigen, was Recht und Unrecht ist? Wie viele große Reformatoren waren von Beginn ihrer Tätigkeit als groß und weise gefeiert worden, oder wie viele von ihnen hatten am Beginn ihrer freigeistlichen Tätigkeit die Freiheit oft mit Einzelhaft oder einem Versteckspiel unter falschem Namen auf irgendwelchen Trutzburgen tauschen müssen? Hatte Ello Dox nicht in aller Deutlichkeit aufgezeigt, dass etwas schiefgelaufen war? Müsste nicht jeder vernünftige Verantwortungsträger diesen Fall zum Anlass nehmen, um sich persönlich und im Sinne des Gemeinwohls der Institution die Frage zu stellen: „Warum?“ Nein, Ello Dox in den ehrwürdigen Kreis der Reformer zu erheben, wäre zweifelsohne falsch. Er hat etwas aufgezeigt – ja; aber er hatte noch nichts zum Guten verändert. Oder doch? Bedarf es dazu der absoluten Rache? Definitiv nicht.
    Wie es ihm jetzt wohl geht? Was er jetzt genau um diese Zeit, an welcher Straßenecke, irgendwo auf der Nordseite der Pont de la Machine, wohl tut? Ich ging zurück, überquerte die Straße und stieg einen steilen Stichweg Richtung alten Stadtkern nach oben. An der Promenade de la Treille & Tour Baudet mit der riesigen Steinplatte, die auf zwei gewaltigen Säulen ruht, blieb ich stehen und blickte nach oben. War er nicht so symbolisch wie diese beiden Säulen, die ein schweres Dach trugen? War er nicht hünenhaft und beschützend über seiner jungen Familie gestanden? Hatte er nicht mit seiner gesamten Biografie eine wunderbare Parabel für die Zweisamkeit geschrieben und eine Lanze für die Familie gebrochen?
    Wann hat jeder Einzelne von uns sich das letzte Mal einen freien Tag genommen, um nur für die Familie da zu sein – ausschließlich –, ohne dass eine Notwendigkeit bestand, weil etwa das Kindermädchen nicht konnte, der ach so wichtige Termin für die Schule erledigt werden musste? Hatte er nicht einfach aufgezeigt, dass der größte berufliche Erfolg gegen einen einzigen Tag des gemeinsamen familiären Glücks verblasst, wie der goldig vollmundige Weißwein, wenn man nur lang genug Mineralwasser hineinschüttet?
    Gerade als ich das Rathaus passierte, begann es leicht zu regnen. Es war fast zwei Uhr morgens. Ich hätte eigentlich hundemüde sein müssen, aber Ello Dox hatte nun einmal ein paar Rätsel aufgegeben, bei deren Lösung an Schlaf nicht zu

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