Giftiges Grün
Lobelien ausgewichen und hatte eine Prunkwinde namens Heavenly Blue aufs Dach geschickt. In diesem Freiluftboudoir saß sie an Sommertagen hinter der Staffelei, die Füße in einer Schüssel mit kaltem Wasser, das sie mit Minze erfrischt hatte, und malte ihren Rittersporn.
Zeit ihres Lebens hatte Lina mehr vom Hosenboden als vom Gesicht ihrer Mutter gesehen, und obwohl ihr Umgang miteinander freundlich neckend war, argwöhnte sie, dass ihre äußere Erscheinung Bertas ästhetischen Ansprüchen niemals genügte und Karl ihr das liebere Kind war. Auch an diesem Morgen fand sie die alte Dame tief gebückt in den Rabatten und mit einer langen Schere in der Buchsbaumhecke herumfuhrwerkend.
»Was soll das werden, Mama?«
»Ein Tier. Ich weiß noch nicht, welches, aber eines mit einem runden Rücken.«
»Eine Schnecke mit Haus?«
»Die kommt mir nicht einmal in Buchsgestalt in den Garten.« Sie musterte Lina in ihrem langen hellen Staubmantel, den flachen Schuhen und einer sackartigen Tasche über der Schulter.
»Du siehst aus wie der junge Herr Heine auf dem Weg nach Paris.«
»Dann lass uns anspannen und aufbrechen.«
»Ich habe einen Picknickkorb vorbereitet. Nur ein paar belegte Brote und eine Thermoskanne mit Milchkaffee. Wir machen eine Fahrt zum Ende der Welt und wer weiß, ob diese Frau uns empfangen will oder ob uns die Eingeborenen von Buchfinkenschlag überhaupt freundlich gesonnen sind.« Sie gingen zur Hintertür.
»Wie geht’s deiner Kröte?«
»Sie ruht. Willst du sie sehen?«
»Danke, es reicht mir zu wissen, dass sie wohlauf ist.«
Im Haus legte Berta Schere und Handschuhe ab und schlüpfte aus den Galoschen in flache Leinenschuhe.
»Ich wasch mir nur noch die Hände. Die Wegzehrung steht in der Küche, bist du so nett und holst sie?«
Die Küche lag hinter dem Gartenzimmer, in dem ihre Mutter Blumentöpfe und Kübel, Werkzeug und Geräte, Nägel und Schrauben, Stützen und Kordel, Jacken, Stiefel und Schürzen, Blechdosen und Gläser mit Knollen und Samen, Kisten mit Steinen, Vogelnestern, Wurzeln, Zapfen, Borke, Hörnern, Tierschädeln und rostigem Eisen aufbewahrte, ein Sortiment, das wiederum Linas Sinn für klare Verhältnisse beleidigte. Sie kehrte mit dem Picknick zurück. Ihre Mutter schloss ab und hängte den Schlüssel an einen Nagel unter einem alten Korb neben der Hintertür.
»Dort sucht ihn keiner«, sagte sie in vorauseilendem Widerspruch.
»Und dort findet ihn jeder.«
»Ich lebe hier seit zwanzig Jahren und es hat noch nie einer versucht, bei mir einzubrechen.«
»Braucht er ja auch nicht, wenn der Schlüssel neben der Tür hängt«, sagte Lina. Sie wandte sich um und schaute über den Garten, der auf einer Anhöhe über dem Wiesental lag. Vom gegenüberliegenden Hang glänzte der Wald in seinem dunklen Sommergrün. »Schön hast du’s hier, Mama«, fügte sie versöhnlich hinzu.
»Fang du nicht auch noch damit an. Letzte Woche hatte ich einen Haufen Leute im Garten. Du weißt ja, diese Tage der offenen Pforte, an denen alle hereinspazieren können. Ich hatte mir ein Bein ausgerissen, damit alles picobello aussah, und im blauen Boudoir Kaffee und Streuselkuchen aufgetischt – gegen eine Spende für die Staudengesellschaft, versteht sich. Die meisten Leute sind ja ganz vernünftig und versuchen nicht, heimlich irgendetwas auszugraben oder abzuknipsen. Jedenfalls war da diese Person mit ihren roten Fingernägeln, die sie ihr Lebtag noch nicht in die Erde gesteckt hat. ›Ah, wie schön, Frau Weil, wie schön haben Sie es hier, und erst dieser Ausblick, einmalig, traumhaft!‹ So ging das die ganze Zeit.«
Mutter und Tochter gingen ums Haus herum zu dem Kiesplatz, wo Lina geparkt hatte, und Berta hievte sich auf den Beifahrersitz.
»Kein gutes Wort über die Rosen, nichts zum Rittersporn, meine Prunkwinde, mein Phlox paniculata Düsterlohe – pfft!« Sie warf die Hand in die Luft. »Nur anzügliche Blicke auf meinen blauen Natternkopf und ein scharf geflüstertes ›seien Sie bloß vorsichtig, der sät sich wie verrückt aus!‹ Selber Natternkopf! Ich will, dass er sich aussät; er ist prachtvoll! Kommt in meinen Garten und lobt die Aussicht!«
»Frechheit!«, sagte Lina und bog auf die Landstraße ein.
»Aber dann! Als sie endlich ging, flötete sie mir zu: ›Wie ich Sie um Ihren Anthriscus sylvestris beneide, Frau Weil! Seit Jahren versuche ich vergeblich, ihn in meinem Garten heimisch zu machen.‹«
»Dein was?«
»Mein Anthriscus sylvestris. Der gemeine
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