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Giftiges Grün

Giftiges Grün

Titel: Giftiges Grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsemarie Maletzke
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Wiesenkerbel, das Unkraut, das neben der Hintertür vor sich hinwuchert.«
    »Arme Mama«, lachte Lina. »Und ich dachte immer, Gärtner wären ganz besonders zartfühlende Menschen und nur gemein zu den Schnecken.«
    »Hast du eine Ahnung! Gärtner sind richtige Streithammel; ein nachtragendes Pack. Wenn du ihre Pflanzen beleidigst, könntest du geradeso gut ihre Kinder ohrfeigen.«

    Mit einem Sommerferiengefühl ließ Lina ihr Fenster herunter, als sie das offene hügelige Land im Westen mit seinen buschigen Anhöhen und großen Laken aus grünen, braunen und weizengelben Feldern erreichten, über das die Wolken wie Schiffe hinwegzogen. Strohgeruch wehte herein. Es war zwar nicht das Ende der Welt, aber weit konnte es bis dahin nicht mehr sein, und die Dörfer, durch die sie fuhren, schienen verlassen. Nur in den Gärten zeigte sich hier und da eine Kittelschürze oder ein alter Mann in einer blauen Jacke. Die Begradiger und Saubermacher, die Verbundsteinpflasterer, Fliesenkleber und Haustürenaustauscher, die sonst überall darauf lauerten, das Vorhandene zu verschlingen und als unaussprechlich Verwandeltes wieder auszuscheiden, schienen noch nicht bis in diese Gegend vorgedrungen zu sein, und die Dörfer hatten ihre krummen Buckel, ihre Sandsteinmauern und Fachwerkgiebel, ihre wirtlichen Nussbäume, Rebenspaliere und geblümten Vorgärten einfach behalten. Berta hatte zu allem eine Meinung.
    »Vorgärten sind eine soziale Tat«, verkündete sie. »Hier wohnen fühlende Menschen!«
    Lina, die, was die Gefühle anderer Menschen betraf, nicht so sicher war, zog es vor, zu schweigen. Unterwegs musste sie zweimal rechts ranfahren, weil ihre Mutter interessantes Grünzeug an einer Mauer erspäht hatte. Mit einem Klappmesser schabte sie vorsichtig Blätter und Würzelchen aus den Ritzen und steckte sie in kleine Plastikbeutel, die, wie das Messer, Schnur und Schäufelchen zum festen Inventar ihrer Handtasche gehörten.
    »Cymbararia muralis«, erläuterte sie, »efeublättriges Zimbelkraut – sehr geeignet für die Terrassen-Fugen«, knotete die Beutel zu und legte sie in den Picknickkorb.
    »Mit den Eigentumsverhältnissen nimmst du es nicht immer so genau?«, fragte Lina.
    »Ich sorge für die Ausbreitung wünschenswerter Vegetation. Das ist etwas anderes.«
    Später, als sie an einem Feldrain parkten, Berta zwei Tassen aus einen Küchenhandtuch wickelte und sie Milchkaffee aus der Thermosflasche tranken, erzählte Lina ihrer Mutter, was sie im Öffentlichen Anzeiger gefunden hatte.
    »Polizei schließt Fremdverschulden nicht aus«, zitierte Berta, »aber verhaftet wurde niemand. Ihr Kleid ausgezogen und ins Wasser gesprungen und konnte nicht mal schwimmen. Sicher sturzbetrunken – nein? Trotzdem komisch. Wer das Mädchen wohl war? Na, ich bin gespannt. Hoffentlich ist Heinrichs Frau noch nicht ganz tatterig geworden. Sie muss über neunzig sein. Besonders helle war sie nie.«
    »Was hast du eigentlich gegen sie? Jedes Mal, wenn wir über Tante Rose reden, musst du einen Giftpfeil abschießen. Nur weil sie keinen Trauschein hatte? Das hat in den siebziger Jahren doch keinen mehr gestört.«
    »Deine Familie schon«, gab Berta zurück.
    »Und sonst nichts? Komm, Mama, raus mit der Sprache! Du bist ihr doch aus irgendeinem Grund immer noch böse.«
    Berta sah aus dem Fenster, und als Lina schon keine Antwort mehr erwartete, sagte sie:
    »Sie war ein furchtbarer Snob. Damals, als wir sie besuchten, dein Vater, Tante Tilly und der kleine Dingens, hatte ich meinen scharlachroten Türkenmohn geteilt und für sie eingetopft, als Gastgeschenk. Gut, er ist vielleicht nicht besonders subtil, eher ein Berserker, aber in einem großen Garten von unvergleichlicher Wirkung. Und ich hatte natürlich mit einem großen Garten gerechnet. Wir kommen an, ich überreiche meine Töpfe und sie sagt: ›Oh, Türkenmohn‹, als hätte ich ihr einen Haufen Brennnesseln mitgebracht. ›Sehr lieb von dir, aber die Farbe kommt mir nicht in den Garten!‹ Bei ihr war alles weiß und rosa. Wenn du mich fragst, überwiegend rosa, sogar der Lavendel.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Rosen und Schleierkraut, Akeleien, Lilien und Cosmeen, Massen von Phlox und Wollziest – alles durcheinander aber pink, pink, pink. Sie wollte es romantisch.«
    »Es hat dir nicht gefallen?«
    »Furchtbarer Kitsch!«
    »Und die Ablehnung deines Türkenmohns trägst du ihr immer noch nach?«
    Ihre Mutter schwieg trotzig.
    »Gärtner«, seufzte Lina, »ich fasse es

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