Giftkuss
Films einen Vergewaltiger umgebracht und waren auf der Flucht. Sie mordeten und klauten und trotzdem mochte man sie. Man liebte sie sogar, stellte Katharina begeistert fest. Weil sie gut waren, nicht nur zueinander, auch sonst. Sie handelten zwar gegen das Gesetz, aber in ihrem Herzen blieben sie rein. Und am Ende… Katharina konnte es nicht fassen und bekam vor lauter Spannung kaum noch Luft… Am Ende gingen sie gemeinsam in den Tod.
Katharina kannte nicht viele Filme, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendwo auf der Welt ein schöneres Filmende geben konnte als dieses. Während des ganzen Abspanns schluchzte sie laut. Und das fühlte sich gut an, als hätten die Tränen eine reinigende Wirkung.
Anschließend wickelte sie die Verbände von den Händen und stellte sich unter die Dusche. Die Wunden sahen immer noch schlimm aus, aber mit ein bisschen Puder und einem Spezialpflaster würde sie sie bald in den Griff bekommen. Noch zwei, drei Tage verstecken, dann war’s vorbei. Sie trocknete sich ab und rieb mit dem feuchten Handtuch den beschlagenen Spiegel trocken.
Eigentlich war ihr ihr Aussehen immer egal gewesen. Sie wusste, dass sie weder besonders hübsch noch wirklich hässlich war – unauffällig war wohl das passende Wort. Wenn sie nicht beachtet oder angesprochen werden wollte, war es für sie ein Leichtes, sich unsichtbar zu machen. Schon in der Schule hatte sie die Fähigkeit gehabt, tagelang unbehelligt zu bleiben.
Sie band sich ihre schulterlangen mittelblonden Haare wie Carol zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen und betrachtete ihre neue Frisur. Sie schüttelte den Kopf. Es sah langweilig aus, die Ohren standen zu weit ab und der Zopf spannte auf der Kopfhaut. Also ließ sie ihre Haare wieder fallen und fand, dass sie erbärmlich aussah. Ihr Gesicht war zu klein für ihre Körpergröße, dafür aber das Kinn zu lang. Ihr ganzer Kopf hatte falsche Proportionen. Wie bei Carol sah man bereits an ihrem Äußeren, an der Körperhaltung, den Klamotten, der Frisur, an allem, dass sie anders war. Oh, es gab für sie so viel zu tun…
Doch jetzt war es kurz nach 12 und für größere Veränderungen hatte sie keine Zeit mehr. Das machte aber nichts: Eine Freundin zu haben, bedeutete ja auch, etwas zusammen zu unternehmen. Sie konnte mit Cleo gemeinsam shoppen gehen. Wenn sie in Zukunft mehr Zeit mit ihr verbringen würde und mal mit ihr essen oder in eine Bar gehen wollte, musste sie sich ohnehin dringend Schminke und ein anderes Outfit besorgen. Sie dachte an die Szene in Bonneville, in der Carol und Arville sich mitten in der Nacht nach einem Streit gegenseitig Quarkmasken aufgelegt hatten.
So etwas tun Freundinnen. Sie streiten sich und sind dann doch füreinander da, immer.
»Wollen wir uns Quarkmasken machen?« Sie musste lachen. Nein, das klang albern.
»Wollen wir shoppen gehen?« Das war schon besser.
»Hey, Cleo, ich brauch ein paar Klamotten. Kommst du mit?« Sehr gut, so schwer war das gar nicht.
Aber was, wenn Cleo mit ihr über Männer reden wollte? Das passierte nicht nur in Sex and the City, sogar in den beiden Filmen, die sie gerade gesehen hatte, waren Männer immer ein Thema. Dabei ekelten sie Katharina an. Das Thema würde sie sofort im Keim ersticken müssen.
»Männer? Dazu kann ich nichts sagen.« Nein, das klang zu dumm.
»Männer? Da hab ich leider wenig Erfahrung, lass uns über was anderes sprechen.« Klang so förmlich, so langweilig.
»Männer? Ach, die sind doch doof!« Gute Antwort.
Siegessicher legte sie den roten Lippenstift auf, den sie sich zwar mal gekauft, aber nie benutzt hatte. Heute war dafür ein guter Tag, fand sie – wischte ihn dann aber sofort wieder weg, als sie das Resultat im Spiegel sah. So weit war sie noch lange nicht.
19. Kapitel
Genau so hatte Cleo sich ein Polizeipräsidium vorgestellt. Ein grauer Gang, auf dem Boden Linoleum, rechts und links Türen mit dunklem Holzfurnier, die meisten nur angelehnt, und links von den Türen Namensschilder. In jedem Raum saßen mindestens drei bis vier Beamte.
Vor Zimmernummer 2.4 blieb Wolff stehen. Er hatte Cleo unten am Haupteingang abgeholt. Jetzt griff er nach der Türklinke und lächelte Cleo an, als hätte er eine Überraschung für sie.
»Hier ist mein Büro.«
Er öffnete die Tür und ließ sie zuerst eintreten. Der Raum war unerwartet groß. Es standen drei Schreibtische darin, von denen zwei gnadenlos überfüllt waren mit Akten und Papieren. Wolff ging an Cleo vorbei zu seinem
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