Giftkuss
realistischer wirkte. »Ich bin stark erkältet. Mit Fieber und so.«
»Ach je, das tut mir leid. Dann suche ich für die Gerichtsmedizin auch gleich einen Ersatz, oder?«
Katharina bekam einen Schrecken. Auf die Idee war sie noch gar nicht gekommen, dass sie ja dann am Abend auch nicht zur Arbeit gehen konnte. Wenn sie jetzt allerdings Nein sagte, wäre sie unglaubwürdig. Mist. Dann musste sie wohl heute ganz ohne Routine auskommen.
»Ja, das wäre nett.«
»Und du kurierst dich jetzt aus. Melde dich morgen wieder, wenn du noch einen Tag freihaben willst, okay?«
»Ja gut, auf Wiedersehen.« Katharina legte auf.
Dies war der erste Tag seit Ewigkeiten, an dem sie ihre Mutter nicht sah. Und an dem sie nicht putzte. Ein bisschen mulmig wurde ihr zumute, doch dann schob sie die Zweifel beiseite. Für die war heute kein Platz, denn heute war ein besonderer Tag. Und zwar schon von Anfang an. Gleich nach dem Aufstehen hatte sie ihre Wunden an den Händen verarztet – Heilcreme draufgeschmiert und verbunden. Alles wird gut.
Mit der dampfenden Kaffeetasse und ein paar Keksen setzte sie sich an ihren kleinen Schreibtisch und startete den Computer. Heute Nacht war ihr die Idee gekommen, Filme anzuschauen – Filme über Freundschaft. Sie hatte schließlich keinerlei Ahnung, wie man eine Freundschaft führte oder einfach nur Spaß hatte.
Während der Computer hochfuhr, tauchte sie einen Schokokeks in den heißen Kaffee und biss ab. Herrlich. Anschließend nahm sie einen Schluck und fand, dass sie auf dem richtigen Weg war. Einen derart selbstbestimmten Vormittag hatte sie noch nie verbracht.
Sie ging ins Internet und gab bei Google die Begriffe Filme und Freundinnen ein. Zunächst musste sie sich durch nichtssagende Foren klicken, doch dann stieß sie auf eine seriöse Filmseite, die zu diesem Thema fünf Titel vorschlug: Grüne Tomaten, Thelma und Louise, Freundinnen, Bonneville – eine Reise ins Glück und die Serie Sex and the City .
Von Sex and the City hatte sie gehört und davon, dass da vier Frauen über Männer und Sex sprachen. Dazu hatte sie keine Lust, eine solche Freundschaft wollte sie nicht. Sie las die Inhaltsangaben der anderen Filme und entschied sich für Bonneville. Und zwar weil er von drei Freundinnen handelte und nicht – wie Thelma und Louise oder Grüne Tomaten – von zweien oder wie Freundinnen sogar von vieren, das ging gar nicht. Obwohl Anja tot war, waren sie zu dritt. Hinzu kam noch, dass in der Inhaltsangabe von Bonneville eine der drei Frauen als schüchtern beschrieben wurde und dann im Laufe der Geschichte aufblühte. Das war ihr Film!
Sie erhob sich, ging zum Bett hinüber und schüttelte die Kissen auf. Dann holte sie den Laptop; Kaffee und Kekse stellte sie auf den Nachttisch. Daneben legte sie Block und Stift, falls sie etwas besonders wichtig fand. Als alles vorbereitet war, kuschelte sie sich unter die Bettdecke. Niemals hätte sie gedacht, dass es so einfach sein würde, mal etwas Außergewöhnliches zu tun, an einem sonnigen Montagmorgen alle Verpflichtungen sausen zu lassen und Filme anzuschauen. So ein Luxus! Sie drückte auf Start.
In dem Film ging es um eine Witwe, die die Asche ihres Mannes an einen bestimmten Ort bringen musste und auf der langen Autofahrt von zwei Freundinnen begleitet wurde. Eine davon hieß Carol. Sie war eine Spaßbremse und Katharina verstand nicht, warum die beiden anderen mit dieser Langweilerin befreundet waren. Was hatten sie davon? Diese Frage beschäftigte Katharina so sehr, dass sie auf nichts anderes mehr achten konnte, bis sie endlich die Antwort fand: Carol hätte alles hergegeben, um andere Menschen glücklich zu machen.
Als der Film zu Ende war, entschied sich Katharina für einen zweiten: Thelma und Louise. Sie hatte noch jede Menge Zeit und in dem Film gab es laut Inhaltsangabe nicht nur zwei Freundinnen, sondern auch eine Leiche. Sie ging auf die Toilette, holte sich noch einen Apfel und hüpfte schwungvoll zurück ins Bett. Wie Carol, die in einer Filmszene so ausgelassen zwischen ihren Freundinnen ins Bett gesprungen war, dass es zusammenkrachte. Katharina biss in ihren Apfel.
Anlauf nehmen und springen, in ein neues Leben, in ein Leben mit einer Freundin!
Sie freute sich so sehr über diesen Gedanken, dass sie laut lachte. Eineinhalb Stunden später saß sie dann aber laut schluchzend da. Sie weinte, weil die Freundschaft, von der Thelma und Louise erzählte, sie so rührte. Die beiden Hauptfiguren hatten am Anfang des
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