Giftkuss
diese schlechte Nachricht bestätigen muss. Ihre Mitschülerin Anja Diekamp ist tatsächlich gestern tot aufgefunden worden. Sie wurde kurz vor einer Beisetzung in einem fremden Grab entdeckt.«
Geräusche echter Bestürzung kamen von allen Seiten. Jana kreischte laut auf und hielt sich dann die Hände vor den Mund.
Robert brummte nur »So ein Schwein!«.
Wahrscheinlich meint er Anjas Stiefvater, dachte Cleo und erinnerte sich an das Telefonat mit Robert in der vergangenen Nacht. Sie hatte ihm von ihrem Verdacht erzählt und er hatte sich sofort total reingesteigert, ohne den Stiefvater überhaupt zu kennen.
»Wir arbeiten natürlich jetzt auf Hochtouren, um den Fall aufzuklären, und ich würde Ihnen deshalb gerne ein paar Fragen stellen: Hatte Anja Feinde?«
Die meisten schüttelten den Kopf, Tobi und Miri sagten laut: »Nein.«
»Hatte Anja in letzter Zeit Streit mit jemandem?«
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete Miri.
Wolff blickte durch die Reihen. Manche schauten zurück, manche sahen verlegen auf die Tischplatte oder ihre Hände. Jana tauchte unter den Tisch und fummelte an ihrer Tasche, Cleo verschränkte die Arme vor der Brust.
»Wir mochten sie alle«, durchbrach Tobi endlich die unerträgliche Stille. »Ich kenne niemanden, der Streit mit ihr hatte.«
»Danke«, sagte der Kommissar und nickte Tobi zu. »Können die anderen das bestätigen?«
Allgemeines Nicken und vereinzelt zustimmende Laute.
»Ist Ihnen sonst etwas an Anja aufgefallen, hat sie sich in letzter Zeit anders oder auffällig verhalten?«
Cleo überlegte, ob sie sich melden sollte. Ihr war ja etwas aufgefallen, aber das hatte sie ihm bereits erzählt. Und sie wollte diese Stiefvatersache auf keinen Fall vor der ganzen Klasse ausbreiten.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, blickte Wolff sie plötzlich an und sagte: »Cleo, würden Sie in etwa zwei Stunden bitte zu mir ins Präsidium kommen?«
Wie auf Knopfdruck setzte sie sich gerade hin. »Ins Präsidium? In zwei Stunden? Da habe ich aber noch Unterricht.«
»Das macht nichts, Cleo, ich werde im Lehrerzimmer Bescheid geben. Du bist vom Unterricht befreit«, sagte Herr Gebhard.
Na super. Cleo sank wieder auf ihren Stuhl zurück und fühlte sich hundeelend. Mit dieser bescheuerten Facebook-Lüge im Nacken kam sie sich vor wie die Täterin persönlich.
»Wer kannte Anja denn noch sehr gut?«, fragte Wolff.
Miri meldete sich, Tobi, Lara, sogar Robert und Ben.
»Schreiben Sie mir bitte Ihre Namen und Telefonnummern auf einen Zettel, ich melde mich heute noch bei Ihnen.«
Es entstand Unruhe, als die Aufgeforderten sich Zettel und Stifte organisierten.
Wolff ging zur Tafel und schrieb seinen Namen und zwei Telefonnummern auf – die vom Präsidium und seine Handynummer. »Wenn Ihnen noch etwas Wichtiges einfällt oder mir jemand etwas unter vier Augen sagen möchte, bin ich unter diesen Nummern jederzeit erreichbar, Tag und Nacht.«
»Schreibt euch die Nummern bitte alle in eure Hefte«, unterstützte Herr Gebhard den Kommissar. Und wieder entstand ein allgemeines Geraschel. Nur Cleo blieb sitzen und schaute aus dem Fenster.
Wenn sich doch jetzt der Boden auftun würde und ich einfach verschwinden könnte, für immer, am liebsten zu Anja, wo auch immer sie jetzt ist.
18. Kapitel
Katharina legte zum dritten Mal den Hörer auf, ohne den geplanten Anruf getätigt zu haben. Es war zum Verzweifeln. Sie schaffte es einfach nicht abzusagen. Genervt von sich selbst, lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück und schaute das Telefon an, als ob sie es beauftragen könnte, den Anruf allein zu erledigen.
Sie wusste ganz genau, wo das Problem lag: bei Frau Wittich. Was, wenn die total ausflippte? In den letzten fünf Jahren, die Katharina in dem Heim geputzt hatte, war sie erst zweimal zu spät gekommen. Gestern und am 2. Januar. Und selbst das schmierte die Wittich ihr täglich aufs Brot. Wie würde sie reagieren, wenn sie einen Tag lang gar nicht käme? Würde sie den Schwestern etwas verraten?
Katharina beugte sich wieder vor und konzentrierte sich. Egal wie lange sie darüber nachdachte, sie musste es tun und das Risiko eingehen. Punkt! Sie drückte auf Wahlwiederholung. Das Freizeichen ertönte einmal, zweimal, dreimal.
»Gebäudereinigung Schullert, was kann ich für Sie tun?«
»Hallo, Gaby, hier ist Katharina.«
»Hallo, Katharina. Was gibt’s?«
»Ich kann heute nicht arbeiten.«
»Oh, bist du krank?«
»Ja, ich habe…« Sie hustete ein bisschen, damit ihre Lüge
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