Giftkuss
an. Das konnte sie zwar nicht sehen, denn sie blickte starr zu Boden. Aber sie konnte es spüren. Kurz überlegte sie, einfach rauszurennen, weg, weit weg, aber ihre verbliebene Vernunft sagte ihr, dass es dadurch nicht besser werden würde.
»Erzählen Sie«, sagte er und stellte das Aufnahmegerät an.
Und als hätte er mit diesen zwei Worten einen Hebel in ihrem Kopf umgelegt, fing sie an zu erzählen. Von Anja, ihrer Freundschaft und von der Suche nach dem Tagebuch. Und wie sie plötzlich auf das Hemd gestoßen war und nicht wusste, wie sie dieses blutverschmierte Teil zur Polizei bringen sollte, ohne den Einbruch zugeben zu müssen. Katharina erwähnte sie nicht, damit sie keine Probleme mit ihrer Schwarzarbeit bekam. Endlich war sie mal eine gute Freundin.
Wolff lehnte sich währenddessen in seinem Stuhl zurück und blickte sie ernst an.
»Und dann kam Ihnen die Idee mit Facebook?«
»Ja.«
»Respekt. Das ist ganz schön clever.«
Cleo strich verschämt mit den Fingerspitzen über den Tintenfleck.
»Wir haben natürlich nachverfolgt, von welchem Computer die Nachricht geschrieben worden ist, und sind auch schon auf das Internetcafé aufmerksam geworden. Gut, dass Sie alles zugegeben haben, wir hätten es eh rausgekriegt. Ich wollte gleich einen Kollegen mit Ihrem Bild dorthin schicken.«
Cleo nickte erleichtert. Hätte sie es so weit kommen lassen, hätten sie rausgefunden, dass sie nicht allein dort gewesen war. Glück gehabt!
»Und wie sind Sie in das Haus gekommen?«
»Es gibt ein kaputtes Kellerfenster. Da sind wir als Kinder immer durchgeklettert. Es war zwar eng, aber es ging.« Cleo hoffte, dass der Kommissar das nicht überprüfen würde.
»Verstehe.« Er stand auf und stellte sich wieder ans Fenster.
»Sie hätten mir das nicht sagen müssen. Sie haben sich damit belastet. Das war Einbruch und Diebstahl. Ihnen ist schon klar, dass Sie damit eine Straftat begangen haben, oder?«
»Was geschieht jetzt mit mir?«
»Das ist Sache des Gerichts.«
»Und was glauben Sie?«
»Es war Ihre erste Tat, Sie sind bisher noch nicht aufgefallen. Ich glaube, Sie müssen höchstens ein paar Sozialstunden ableisten, aber versprechen kann ich nichts.«
Ein paar Sozialstunden für ein reines Gewissen. Das war ein guter Deal.
»Was steht in dem Tagebuch?«
»Das wollte ich eben rausfinden. Ich… ich wollte einfach nicht, dass es jemand anderem in die Hände fällt. Die Vorstellung, Sie oder Ihre Kollegen könnten Anjas Aufzeichnungen lesen, war für mich total schrecklich.«
Er nickte verständnisvoll. »Und haben Sie es gefunden?«
»Nein«, antwortete sie. »Wahrscheinlich hat der Täter es längst.« Sie trank das Wasserglas wieder leer. »Woher wissen Sie eigentlich so genau, dass es nicht der Stiefvater war?«
Wolff drehte sich um und legte die Hände auf die Lehne seines Schreibtischstuhls.
»Er hat ein Alibi.«
»Aber er hat doch alleine eine Radtour gemacht. Wie kann er da ein Alibi haben?«
»Das wollte er. Dann kam aber der große Regen und er hat sich spontan umentschieden, ist ins Schwimmbad gegangen und hat dort einen Kollegen getroffen. Die beiden sind gemeinsam ein paar Bahnen geschwommen und anschließend in die Sauna gegangen.«
»Oooh.« Mehr sagte sie nicht. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie hatte sich die ganze Zeit auf den Stiefvater eingeschossen. Klar, erst die Bemerkung von Anja, dann das Sporthemd. »Aber wer war es denn dann?«
Wolff setzte sich, nahm einen Stift zur Hand und drehte ihn hin und her. Er sah sehr nachdenklich aus. Schließlich holte er einen Stoß Papier von einem Stapel neben dem Drucker und blätterte ihn durch. Dann sagte er: »Ich erzähle Ihnen jetzt mal was. Der Stiefvater Ihrer Freundin hatte vorher schon mal eine andere Familie. Und zwar in Gießen. Wussten Sie das?«
»Was? Nein, hab ich noch nie von gehört.«
»Und er hat eine Tochter.«
»Er hat was?« Cleo war fassungslos! Anja hatte eine Stiefschwester? »Wusste Anja das?«
»Das wollte ich Sie gerade fragen.«
»Sie hat nie was erwähnt. Nein, das wusste sie nicht. Ich bin sicher, dass sie mir das erzählt hätte.«
»Er war zehn Jahre lang mit einer Frau zusammen. Sie haben nie geheiratet, aber zwei Kinder bekommen. Die eine Tochter ist mit drei Jahren gestorben und die andere lebt wahrscheinlich noch.«
»Wissen Sie, wo?«
Wolff schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Und Herr Diekamp wusste es auch nicht. Er hat vor langer Zeit den Kontakt abgebrochen.«
»Aber warum hat er es
Weitere Kostenlose Bücher