Giftpilz
wirkte
das Ganze so … so unvollendet.
Mehr noch als die anstrengende Therapie störte Hummel sein schier
unstillbarer Hunger. Wie sollte er das bloß noch mehrere Wochen durchhalten?
Vierzehnhundert Kalorien pro Tag, so ein Quatsch. Allzu sehr gegen seine Natur
anzukämpfen hatte sicher auch keinen Sinn. Vielleicht würde er dadurch noch
depressiv, und das begünstigte dann wieder andere Krankheiten … Er musste mit
der Diätassistentin darüber reden.
Hubertus’ Enthusiasmus und seine bedingungslose Bereitschaft, alles
für seine Genesung zu tun, hatten schon einigermaßen gelitten. Zumindest jetzt,
zur Essenszeit.
Dies verstärkte sich, als er die Größe der Portionen sah. Vier
Gabeln, maximal fünf, schätzte Hummel und machte sich an die Arbeit. Zuvor
hatte es eine dünne Gemüsesuppe gegeben – und Hubertus hatte sich wieder
geärgert. Die anderen, die nicht auf Diät waren, konnten sich an einer
Champignoncremesuppe laben. Es war einfach ungerecht.
Sein Tischgenosse Zuckschwerdt schien keinen besonders großen
Appetit zu haben, obwohl – wie Hubertus fand – der Auflauf nicht einmal
schlecht schmeckte. Nur halt gewohnt salzarm … Die Portionen waren aber wirklich
ein schlechter Witz. Sie erinnerten an ein Nobelrestaurant – jedoch nur von der
Menge her. Und trotzdem stocherte Zuckschwerdt in seinem Auflauf herum, als
ginge es nur darum, diesen von einer Seite des Tellers auf die andere zu
verschieben. Zweimal fragte Hubertus ihn, ob er schon fertig sei, um sich flugs
der Reste annehmen zu können. Beim zweiten Mal reagierte der alte Zuckschwerdt
recht ungehalten.
Narben-Dietrich war erst gar nicht zum Mittagessen erschienen.
»Och, der lässt sich mittags oft des Essen ufs Zimmerschen bringen«,
meinte der Sachse schmatzend. »Is jo leider körperlich nich so gut beisamm.«
Hubertus hoffte, dass Dietrich bald wieder auftauchte. Sollte er
sich tatsächlich mit jemandem während der Reha anfreunden, dann mit ihm. Das
versprach auch weniger Probleme als eine weibliche Bekanntschaft. Carolin konnte
recht eifersüchtig sein. Auch Elke war ihr ein größerer Dorn im Auge.
Um vierzehn Uhr ging’s weiter mit Atemgymnastik und EKG-überwachtem
Ergometertraining. Wieder so ein Programmpunkt, der ihn das Schlimmste
befürchten ließ. Und dann auch noch mit halbleerem Magen …
Ob gelbe Rüben, Karotten oder gar Möhren: Hummel schaffte
im Verlauf des Nachmittags mindestens ein Dutzend. Immer wieder schlich er ins
Restaurant, wo auf mehreren großen Tellern Rohkost auslag. Das orangefarbene
Gemüse schien für ihn mittlerweile lebensrettenden Status zu besitzen. Selbst
beim Ergometertraining nagte er an einer Karotte, ehe Dr. Auberle dem ein Ende
bereitete.
Hummel entgegnete, er werde bei Amnesty International vorsprechen
und sich über die Leute beschweren, die ihn auf vierzehnhundert Kalorien
gesetzt hätten, denn für ihn komme das einer Folter gleich.
Auberle meinte, Ärzte und Folterknechte hätten nun mal viel
gemeinsam – gerade vom Charakter her.
Im Gegensatz zu Auberle konnten die meisten Mitpatienten mit Hummels
brummeliger, eher genervter Art nur wenig anfangen. Mit Ausnahme von
Narben-Dietrich. Der nannte ihn mittlerweile »Bugs Bunny« – und er durfte das.
Zum Abendessen vertilgte Bugs Bunny vier weitere Karotten –
natürlich neben der ihm zugedachten üblichen Grau- und Schwarzbrotkombination.
Eine fünfte Karotte nahm er sich mit aufs Zimmer.
Als Hubertus die Zimmertür aufschloss, bemerkte er, dass jemand
einen Brief unter dem Türschlitz hindurchgeschoben hatte. Er war überrascht und
erfreut zugleich. Ein Brief? Von Carolin? Er trug weder Marke noch Absender.
Hubertus legte sich aufs Bett und öffnete das unbeschriftete Kuvert.
Ihm wurde schnell klar, dass es sich um keinen Liebesbrief handelte. Zwar
zeigte das beigelegte Foto eindeutig ihn und seine aktuelle Gefährtin in
inniger Umarmung, ja Liebkosung. Dort, in dem Wäldchen, in dem es zum Golf- und
Countryclub ging. Kein Zweifel: Das Foto musste gestern beim Spaziergang
entstanden sein.
Carolin hätte ihm wohl aber kaum einen Zettel mit ausgeschnittenen,
aufgeklebten Zeitungsbuchstaben geschickt …
Als erstes fiel sein Blick auf die Zahl 50.000. Dann auf die
Buchstaben EURO. »Jesses, nei! 50.000 Euro? Was soll das denn?«, rief Hubertus.
Sein Herz begann unregelmäßig zu pochen. Er legte die Karotte auf den
Nachttisch.
»Sehr geehrter Herr Hummel, Sie sollten sich lieber mit Ihrer
Ehefrau amüsieren«, lautete
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