Giftpilz
der erste Satz.
Hummel schluckte. Wie war das denn gemeint?
»Die Kurtaxe für Ehebruch beträgt 50.000 Euro. Andernfalls bekommt
Ihre Frau dieses Foto.«
Hummel blickte fassungslos auf das zehn mal fünfzehn Zentimeter
große Bild. Aus welcher Entfernung das wohl aufgenommen worden war? Er musste
mal seinen Journalistenfreund Riesle fragen – der kannte sich mit so etwas aus.
»Wir melden uns wieder. Bleiben Sie ruhig. Und: Keine
Polizei, sonst gibt es Probleme«, endete der Brief.
Hummel legte ihn zur Seite. 50.000 Euro? Für wen hielten diese
Schurken ihn denn? Für den Besitzer der Klinik?
Wild gingen seine Gedanken durcheinander. Er schwankte zwischen dem
Entsetzen darüber, beobachtet worden zu sein (und es vielleicht immer noch zu
werden), und angestrengtem Grübeln. War ihm jemand oder etwas während Carolins
Besuch aufgefallen? Natürlich nicht, außer dass sich die Küsse nach der
Abstinenz noch besser angefühlt hatten.
Aber wie konnten die Erpresser wissen, dass Hubertus verheiratet
war?
Richtig, Elke hatte ihn ja gestern besucht und dabei lautstark
erwähnt, dass sie seine Ehefrau sei. So ziemlich jeder im Foyer der Klinik
hätte das hören können.
Hubertus schüttelte den Kopf. Was waren denn das für dilettantische
Ganoven? Für einen Betrag von 50.000 Euro konnte man doch eigentlich erwarten,
dass die Erpresser sich richtig über ihn informierten. Mal abgesehen davon,
dass bei genauerer Beobachtung jedwede Erwartungen, er schwimme in Geld, sofort
zerstoben wären. Gut, sein Privatleben war schon geordneter gewesen. Aber eigentlich
war doch alles klar: Mit Elke war er noch verheiratet, lebte aber von ihr
getrennt – in beiderseitigem Einvernehmen. Und mit Carolin war er liiert, auch
wenn seiner Tochter Martina und möglicherweise auch Riesle das nicht passen
mochte. Sollten sich doch die Herren Erpresser jemand anderen suchen. Elke
würde wohl kaum in Ohnmacht fallen, wenn ihr dieses Foto zugespielt würde.
Hummel ärgerte sich jetzt fast mehr über die Unprofessionalität der
Erpresser, als dass er Angst hatte.
Er beschloss, noch mal etwas frische Schwarzwaldluft zu schnuppern
und über alles nachzudenken. Wie sollte er sich verhalten? Einfach abwarten,
bis die Erpresser sich wieder meldeten? Oder sich vielleicht öffentlich mit
Freundin und Frau zeigen, am besten noch mit beiden harmonisch bei einem
Spaziergang untergehakt, um diesen dämlichen Verbrechern klarzumachen, dass es
bei ihm nichts zu erpressen gab? Andererseits würde es schwierig werden, Elke
und vor allem Carolin zu einem derartigen Treffen zu überreden. Und unter welchem
Vorwand?
Als Hummel den Supermarkt sah, vergaß er augenblicklich jegliche
guten Vorsätze. Das Geschäft hatte noch fünfzehn Minuten geöffnet. Das reichte,
um einmal quer durch die Süßwaren- und Knabberzeugabteilung zu fräsen. Hummel
erwog schon, sich mit seiner Einkaufstüte voller Chips, Keksen,
Nougatschokolade und Gummibärchen in gebückter Haltung an der Pforte
vorbeizuschleichen. Vermutlich wäre es ihm aber kaum gelungen, den Proviant
unbemerkt in die Klinik zu schmuggeln. Und allenfalls die Cola light hätte eine
Kontrolle passiert.
Seine Wahl fiel schließlich auf ein entlegenes Bänkchen im Kurpark.
Kaum dass Hummel sich dort niedergelassen hatte, überkam ihn eine Fressattacke,
wie er sie vermutlich seit seiner Jugend nicht mehr gehabt hatte. Er machte
sich abwechselnd über Salziges und Süßes her und warf hinterher die kaum
erwähnenswerten Reste in einen Papierkorb neben der Bank.
Als er wieder die Klinik betrat, fühlte er sich in doppelter
Hinsicht schlecht. Zum einen nagte es an ihm, dass er so schamlos die Kontrolle
über sich verloren hatte. Zum anderen erinnerte ihn sein Magen an einen mit der
Luftpumpe aufgeblasenen Ballon.
Erstaunlicherweise war er offenbar nicht der Einzige, dem es
schlecht ging. Auf dem Flur vor seinem Zimmer traf Hummel gleich drei
Mitpatienten, die über heftige Magenkrämpfe, Erbrechen und Durchfall klagten.
Hubertus war in solchen Dingen sehr empfindlich. Er fühlte sich an
eine Kreuzfahrt auf dem Atlantik mit vielen Seekranken erinnert, die er vor ein
paar Jahren mal mit Elke unternommen hatte.
Da kam auch schon ein weiterer Patient, der – des Sprechens nicht mehr
fähig – an ihm vorbei in sein Zimmer stolperte. Unschöne Geräusche aus dem Bad
drangen durch die geschlossene Tür.
Hummel hatte es schon befürchtet: Kaum zurück in seinem Zimmer,
stellte sich auch bei ihm eine heftige
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