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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Holbe
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Reitmeyers als Familie oder das Unternehmen als Ganzes?«
    »Sowohl als auch, wieso?«
    Sabine sprach unbeirrt weiter. »Gehört demnach jede auf dem Hof arbeitende Person indirekt zu Ihrer Klientel?«
    Brünings Pupillen weiteten sich, und er neigte den Kopf. Doch anstelle einer erwarteten Ausrede kam schließlich, nach einigen Sekunden der Stille: »Streng genommen, ja.«
    »Also jeder Angestellte bis hin zum Knecht.«
    »Knecht?«
    »Gunnar Volz.«
    »Ach so. Bei Herrn Volz liegen die Dinge ein wenig anders«, druckste Brüning, »aber ich muss ihn de facto zur
BIO
gut
-Belegschaft zählen.«
    »Erklären Sie das bitte«, forderte die Kommissarin.
    »Die Zahlungen an ihn werden als Betriebsausgaben geführt«, erklärte Brüning, »auch wenn die Verpflichtungen der Reitmeyers gegenüber seiner Person nichts mit der Firma zu tun haben. Das ist kompliziert, tut aber nichts zur Sache.«
    »Das möchte ich gern selbst entscheiden«, widersprach Sabine. »Klammere ich Volz nun aus der Gleichung aus, oder nicht?«
    Doch der Kommissarin war längst klar, dass sie diese Entscheidung nicht einzig und allein aufgrund Brünings Einschätzung treffen würde. War Gunnar Volz Bestandteil jener geheimnisvollen Theorie, die sich angeblich in Dr. Elsass’ Gehirnwindungen manifestiert hatte? Es gab nur einen Weg, das herauszufinden, aber dazu war die Kommissarin noch nicht bereit. Nicht im Alleingang. So lange, und damit musste sie leben, würde der Knecht ein Buch mit vielen Siegeln bleiben, von denen längst nicht alle gebrochen waren. Was ihr zusätzliches Kopfzerbrechen bereitete, war, dass er zum Zeitpunkt der Lösegeldübergabe wie ein Murmeltier geschlafen hatte. Das zumindest hatte der Beamte, der ihn observiert hatte, zu Protokoll gegeben.
    Gläubig oder nicht, Sabine schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass sie sich auf diese Aussage auch verlassen konnte.
     
    Die alten Stufen ließen mit jedem Tritt ein gequältes Knarren verlauten. Es schien, als wollten sie an vergangene Tage erinnern, an denen ihr Holz noch jung und ihre Oberfläche noch eben gewesen war. Oder aber, dachte Ralph ein wenig melancholisch, sie jammern über die Unzucht, die sich in den vergangenen Jahrzehnten hier abgespielt hatte. Das dürfte eine Menge gewesen sein, zumindest, wenn man die Blicke der Nachbarsfrau richtig deutete. Mit jedem Schritt verlor sich das Ächzen des Holzes in den Bässen der Musikanlage, und als er die Zimmertür schließlich erreicht hatte, hielt er eine halbe Minute inne, um durchzuatmen.
Selbstzentrierung,
wie es eine Seminarleiterin einst genannt hatte, damals, in den schillernden Tagen seiner Dienstzeit in der Gießener Ferniestraße. Eine Sehnsucht, die der genaueren Betrachtung nicht standhalten konnte, doch damals war zumindest sein Privatleben in geordneten Bahnen verlaufen.
    Keine Familie, keine Querelen.
    No woman, no cry. Keine Janine, kein …
Geschrei!
    Just in diesem Augenblick flog die Tür auf, und das noch immer im schwarzen Kapuzinerlook gekleidete Mädchen baute sich vor ihm auf.
    »Spinnst du?«, keifte sie und deckte Ralph in einen Nieselregen von wutschnaubendem Speichel. Kein Zweifel, es war eine rhetorische Frage, auf die Janine keine Antwort erwartete. Stattdessen schimpfte sie weiter: »Das ist Hausfriedensbruch, Belästigung, stellst du mir etwa nach?« Sie keuchte, ihre Stimme schlug hysterische Kapriolen, und wie aus einem Maschinengewehr ratterten Kraftausdrücke und empörte Metaphorik in Richtung des Kommissars, der auf einen derartigen Schusswechsel nicht eingestellt gewesen war.
    »Wie kannst du es wagen? Spannst du etwa durchs Schlüsselloch? Du perverses Schw…«
    Da war der Punkt erreicht, an dem Ralph Angersbach die Schnauze gestrichen voll hatte. Aggressionsseminar? Blödsinn. Deeskalation ging auch anders. Er erinnerte sich an die Worte seiner Kollegin, als sie ihm versucht hatte, das Grundprinzip von Krav Maga zu erklären. Unterm Strich bedeutete das für ihn nur eines.
Angriff.
    Die beste aller Verteidigungen.
    Als sie gerade nach Luft schnappte, trat er mit einem schnellen Schritt auf sie zu und packte ihre Handgelenke. Fassungslos erstarrte Janine, eine Schrecksekunde, die Ralph dazu nutzte, um dem Mädchen die Arme hinter den Rücken zu bugsieren. Dann griff er schnell um und hielt sie, bevor das große Zappeln begann, an den Ellbogen fest. Seine Daumen bohrten sich dabei in ihre Beugen, die so dürr waren, dass sie sich weniger weich anfühlten als erwartet.
    »Was soll das?

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