Giftspur
Lass mich los!«, giftete sie ihn an und versuchte, nach ihm zu treten. Doch die beiden standen viel zu eng, und Ralph hatte seinen Schritt längst geschlossen, um seine sensibelste Angriffsfläche zu schützen.
»Jetzt hörst
du mir
mal zu, Kleines«, zischte er mit geweiteten Pupillen, und Janine zog instinktiv den Kopf, so weit es ging, nach hinten. Noch war sie nicht bereit, nachzugeben. Stattdessen machte sie sich steif, bog und wand sich in der eisernen Umklammerung, was jedoch nur zur Folge hatte, dass Ralph die Daumen ein wenig fester in ihre Sehnen grub, stets darauf bedacht, das Mädchen nicht zu verletzen.
»Sabine und ich haben unseren Arsch riskiert, um dich da rauszuholen, ist dir das eigentlich klar?«, stieß er hervor. Schweiß rann seine Stirn hinab, und er spürte den Puls und den heißen Atem des Mädchens. Ralph war heilfroh, dass er das Glas Wein unangerührt auf dem Küchentisch hatte stehenlassen. Nicht auszudenken, wie Janine reagiert hätte, wenn er ihr nun mit einer Alkoholfahne gegenüberstehen würde.
»Na und?«, gab sie zurück. »Ich kann machen, was ich will. Interessiert doch keinen.«
»Das stimmt nicht. Erstens bist du nicht volljährig, und zweitens würde ich nicht hier stehen, wenn’s nicht so wäre.«
»Ja, weil du
Bulle
bist«, spie sie abfällig, »und es dir stinkt, dass ich manchmal Gras rauche.«
»Weil ich dein Bruder bin, verdammt«, widersprach Ralph. »Und weil es heute eine Großaktion der Drogenfahndung gegeben hat.«
»Häh?« Janine machte ein einfältiges Gesicht, und gleichzeitig verlor sie an Körperspannung.
»Kann ich dich endlich loslassen, ohne dass du mir die Augen auskratzt?«, nutzte Ralph die Gelegenheit.
»Hm.«
Vorsichtig, da er dem Frieden noch nicht ganz traute, lockerte der Kommissar seinen Griff, und tatsächlich schien ihm das drahtige Mädchen nicht an die Kehle springen zu wollen. Er verkniff sich, als sie einen Schritt zurücktrat, den Kommentar, dass eine Etage tiefer ein Paar Handschellen herumlag, denn für Humor war es eindeutig noch zu früh.
Eine schwere, elektrisierende Spannung umgab die beiden. Janine stand, scheu und verunsichert, vor ihrer Anlage, deren Lautstärke sie auf Ralphs Bitten hinuntergeregelt hatte, bis die ekstatischen Schreie der Band verstummt waren. Er hatte sich einen Sitzsack herbeigezogen, eisern gewillt, sich nicht über dessen fleckige Oberfläche zu pikieren oder gar Phantasiebilder über den organischen Ursprung der Verunreinigungen entstehen zu lassen.
»Ich riskiere meine Karriere, wenn ich solche Dinge tue wie heute Abend«, begann er. Doch seine Halbschwester maß dieses Argument anders als Ralph.
»Karriere, Karriere, das ist alles, was dir wichtig ist«, schnaubte sie.
»Nein, verdammt!« Ralph rang mit sich, um Ruhe zu bewahren. »Ich habe nun mal einen Job, den ich auch gerne mache, aber ich bin nebenbei auch noch ein menschliches Wesen. Ein Mensch, der plötzlich Familie hat.«
»Pah, Familie«, stieß das Mädchen hervor und winkte ab. »Auf einen Wächter, der sich nur dafür interessiert, mir das Kiffen zu verbieten, kann ich verzichten.«
»So siehst du mich, als
Wächter?
«
»Bulle eben«, brummte sie schulterzuckend.
»Ich lasse meinen Dienst im Büro, wo er hingehört«, widersprach Angersbach. »Es sei denn, mich beschäftigt ein heikler Fall. So wie jetzt übrigens. Aber wenn ich durch diese Haustür trete, dann komme ich nicht als Polizist.«
»Sondern?«
Ralph stockte. Er stand in einer Sackgasse, die er nicht hatte kommen sehen. Doch es blieb ihm nichts anderes übrig, als darauf zu antworten.
»Als … Bruder?«
Janine war sein Zögern nicht entgangen, und sofort schnellte ihr Zeigefinger in seine Richtung.
»Ha! Lächerlich.« Sie lachte auf. »Mom hatte eine Menge Typen hier rumhängen, von denen sich manch einer als guter Onkel aufspielen wollte. Ich brauche jedenfalls keinen neuen Macker, der meint, in meinem Leben herumpfuschen zu müssen.«
»Es war auch meine Mutter«, entgegnete Angersbach leise, »auch wenn ich das meiste von ihr erst nach ihrem Tod kennengelernt habe. Tut mir aufrichtig leid, dass ich vorher nicht hier war, aber meine Jugend spielte sich bei Pflegeeltern ab. Ihnen verdanke ich, dass ich den Absprung geschafft habe.«
»Schön für dich.«
»Ich habe mir meine neue Rolle nicht ausgesucht, Janine«, ergriff Angersbach vorsichtig die Chance, »aber es scheint ihr Wille gewesen zu sein, dass ich mich um dich kümmere. Besser, als es
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