Giftweizen
nun etwas mehr über ihn erzählen. Vielleicht ergibt sich daraus ein Motiv. Ohne kommen wir einfach nicht weiter.«
»Soll ich mitkommen?«, bot Dr. Grede an, doch Judith Brunner wollte lieber allein mit der trauernden Witwe sprechen.
~ 51 ~
Laura wurde von einem lauten Schnurren am Fußende ihres Bettes geweckt. Wilhelmina hatte rücksichtsvoll geschwiegen, bis sie hinten aus den Gärten das Singen eines unbekannten Vogels vernommen hatte. Der interessierte sie. Sie wollte unbedingt erkunden, wie groß er war und ob er in ihrer Reichweite saß. Dazu musste ihr allerdings erst jemand das Fenster öffnen und der einfachste Weg war, einen Menschen zu animieren.
Geschwind stand Laura auf und tat ihr den Gefallen.
Wilhelmina hopste auf das Fensterbrett, sah hinaus und schien mit einem Mal unschlüssig, was sie mit ihrer Bewegungsfreiheit anfangen sollte. Oder sondierte sie nur die Lage?
Laura atmete die frische Landluft ein und schlug ihr vor: »Leg dich in die Sonne, ich komme auch gleich hinterher. Heute habe ich frei.«
Die Angesprochene hatte jedoch eigene Pläne, hüpfte auf den Hof und entschwand in die blühenden Büsche.
Laura machte sich noch im Schlafanzug ein kleines Frühstück und bekam dabei wieder Gesellschaft von Wilhelmina, die ihr Vorhaben abgebrochen hatte und zunächst eine Stärkung begehrte.
Nach dem Essen trank Laura ihre zweite Tasse Kaffee und nahm sich vor, bis zum Mittag etwas Ordnung zu machen. Als Erstes wollte sie ihre Bücher vom Fensterbrett ins Wohnzimmerregal räumen. Allerdings – ein Buch würde sie ganz bestimmt nicht in Waldau lassen, sondern wieder mit nach Berlin nehmen. Es war ihr zu kostbar und Laura hütete es wie einen Schatz. Mit einem heißen Gefühl nahm sie es in die Hand und lächelte klopfenden Herzens bei der Erinnerung daran, wie sie es geschenkt bekommen hatte ... Vor einigen Wochen wollte sie das Buch kaufen und bekam die Auskunft, dass es vergriffen sei. Die Buchhändlerin machte ihr auch keine Hoffnung, es noch irgendwie beschaffen zu können. Enttäuscht drehte Laura sich um und stolperte in dem engen Buchladen in einen dicht hinter ihr stehenden Mann. Für wenige Sekunden blickte sie in die gefährlichsten Augen der Welt. Dunkel, wach, entschlossen! Der Mann hielt sie mit beiden Händen fest, damit sie nicht fiel. Vielleicht einen Moment länger als nötig. Zog er sie an sich? Möglicherweise. Hoffentlich! Denn Laura fühlte plötzlich eine unerklärliche Schwäche und brauchte den Halt. Doch wieso spürte er das? Die körperliche Präsenz des Fremden während der wenigen Augenblicke ihrer Berührung war absolut überwältigend. Laura versuchte, vermutlich wenig überzeugend, Gelassenheit zu zeigen und bat leise um Entschuldigung.
Der Mann ließ sie los und antwortete mit einem charmanten: »Wofür?«
Laura hatte eilig den Laden verlassen, emotional verwirrt. Seine leicht amüsierte Stimme hatte ihr vollends die Fassung geraubt.
Am nächsten Abend kam ihr der Mann auf ihrem Heimweg entgegen und wieder reagierte ihr Körper mit Prickeln und weichen Knien, doch seine Augen hielten sie schon von Weitem. Mit tiefer, klarer Stimme sprach er sie an: Er hätte nur wenig Zeit. Ob sie gleich heute Abend, jetzt, mit ihm essen gehen würde? Irgendetwas trieb Laura dazu, ihm zu gestehen, dass sie völlig durcheinander und eigentlich zu müde sei, da sie nach ihrer gestrigen Begegnung in der letzten Nacht kaum geschlafen hatte.
»Fantastisch. Mir ging es genau so!« Mit dieser zufrieden klingenden Bemerkung nahm er Laura – wieder fest, und ohne ihre Zustimmung abzuwarten – bei der Hand und entführte sie in das Restaurant eines altehrwürdigen Hotels hinter einer unauffälligen grauen Fassade, mit dezenten Kellnern und einer ungewöhnlich luxuriösen Weinkarte. Es wurde der erregendste Abend, den Laura bis dahin erlebt hatte. Ihr Herz siegte über ihren Verstand und bedenkenlos stürzte sie sich in eine leidenschaftliche Nacht.
»Ich komme wieder«, versprach er am Morgen und sie glaubte ihm.
Eines Abends, nach fast drei Wochen ohne ein Lebenszeichen, stand er tatsächlich vor ihrer Tür.
Laura war in dieser Zeit vor Sehnsucht fast gestorben und weinte sofort los.
Es gelang ihm mit viel Geduld, sie zu beruhigen. »Sieh mich an«, forderte er unnachgiebig, doch seine Stimme legte sich wie eine wärmende Hülle um ihren Körper, »ich komme wieder. Immer. Ich verspreche es dir. Ich weiß nur nie, wann. Mehr kann ich dir nicht bieten.«
Sie nutzten die wenigen
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