Giftweizen
gibt auch die Grundakte beim Kreisgericht noch was her ...«
»Stopp! Stopp! Ich sehe schon, es war richtig, Astrids Rat zu folgen«, unterbrach Leon, dankbar lächelnd, Lauras eifrige Überlegungen, »hab vielen Dank.« Seine spontane Umarmung geriet auf der kleinen Gartenbank etwas ungeschickt, wirkte aber umso ehrlicher. Dann lachte er auf: »Klärst du mich noch auf, was eine Goldparmäne ist, bevor wir loslegen?«
»Besser noch! Ich werde dir sogar was mitgeben, dann kannst du entscheiden, ob sich die erneute Anzucht lohnen könnte«, meinte Laura. »Warte bitte einen Moment.«
Kurz danach kehrte sie aus dem Keller zurück und drückte Leon zwei Flaschen vom goldgelben Apfelsaft in die Hand.
~ 52 ~
In Breitenfeld parkte Judith Brunner gleich hinter dem Ortseingang, in einer Einfahrt vor einem leer stehenden, leicht verfallenen Hof. Sie ging das kleine Stück zum Haus der Singers zu Fuß, um sich auf das kommende Gespräch vorzubereiten. Der Besuch bei Hella Singer fiel ihr schwer. Judith empfand tiefes Mitgefühl für die Witwe. Die erwartete sicher die Nachricht, endlich ihren Mann würdevoll beisetzen zu können. Stattdessen würde sie erfahren, dass er ermordet worden war.
Hella Singer nutzte die milde Witterung und arbeitete im Vorgarten. Sie schnitt offenbar Sträucher zurück, doch Judith kannte sich zu wenig in der Gartenarbeit aus, um das richtig einschätzen zu können.
Ein breites, schwarzes Seidenband hielt Hella Singer die Haare aus dem grazilen Gesicht. Sie trug einen dunkelvioletten Hausanzug und war wieder barfuß.
Judith Brunner rief leise einen Gruß über den Gartenzaun und Hella Singer kam ihr unverzüglich entgegen. Verlegen putzte sie sich etwas Dreck von ihren Händen und ihrer Kleidung. Dann öffnete sie der Hauptkommissarin die Gartentür: »Guten Tag. Verzeihen Sie meinen Aufzug, aber ich habe nicht mit Ihrem Besuch gerechnet.«
»Nicht doch. Ich möchte Sie um Entschuldigung bitten, hier ohne Anmeldung herzukommen«, wandte Judith Brunner ein, »aber ich muss dringend mit Ihnen sprechen.«
Hella Singer glaubte zu verstehen: »Ah! Sie haben meinen Mann endlich gefunden? Kommen Sie doch mit ins Haus. Ich koche uns einen Tee.«
Judith hoffte inständig, dass sie die erwartungsvolle Stimmung dämpfen konnte, ohne größeren Schaden anzurichten: »Bitte nicht für mich. Frau Singer, ich bringe keine guten Nachrichten.«
»Haben Sie ihn denn immer noch nicht gefunden?«, fragte Hella Singer vorwurfsvoll. Währenddessen ging sie zu einer am rechten Hausrand stehenden Gartenbank – mit Blick zum nahe gelegenen Waldrand.
Die beiden Frauen setzten sich.
Judith Brunner musste die Vorhaltung bestätigen: »Leider nein. Aber ich bin nicht deswegen hier.« Sie wartete einen kurzen Moment und sah Hella Singer offen ins Gesicht. »Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass Ihr Mann ermordet wurde.«
»Was!?« Der Körper der Frau erstarrte.
Wie anders sollte diese Frau ihre Fassungslosigkeit auch ausdrücken! Hella Singer war geschockt. Das war ihr deutlich anzusehen. Langsam füllten sich ihre Augen mit Tränen.
Judith Brunner fragte behutsam: »Soll ich jemanden für Sie anrufen oder einer Nachbarin Bescheid sagen?«
Wortlos schüttelte Hella Singer den Kopf.
»Darf ich Ihnen einige Fragen stellen?«, tastete Judith Brunner sich weiter vor. »Wir benötigen für unsere Ermittlungen noch einige Angaben.«
Nach einer kleinen Ewigkeit bewegte Hella Singer sich wieder. »Wie?«
Natürlich. Sie wollte wissen, was ihrem Mann passiert ist. Judith Brunner antwortete: »Er wurde vergiftet.«
»Gift?«
Judith Brunner nickte.
»Aber ... Wie denn?« Hella Singer überlegte. »Fühlte er sich deswegen so schlecht, als er vom Einkaufen kam? Warum haben die das im Krankenhaus nicht gleich erkannt?«
»Das kann ich Ihnen auch nicht beantworten. Aber die Symptome dieser speziellen Vergiftung sind nicht so einfach zuzuordnen. Sie sind, wie man so sagt, recht unspezifisch. Unser Rechtsmediziner hat nämlich herausgefunden, dass Ihr Mann mit Schierling vergiftet wurde.«
»Wie bitte? Wie Sokrates?«
Judith Brunner hob bestätigend die Schultern.
»Und dann schneidet man ihm noch die Hände ab? Wozu?«
»Das wollen wir ja herausfinden. Schaffen Sie es, mir ein paar Fragen zu beantworten?«
Fast demütig antwortete Hella Singer: »Fragen Sie.«
Judith holte tief Luft. »Frau Singer, wer könnte Interesse an der Ermordung Ihres Mannes gehabt haben?«
Ratlos schüttelte die Frau den Kopf. »Niemand! Er hat nie
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