Giftweizen
mit ihrem Bericht begonnen, als Dr. Renz sie freundlich unterbrach: »Verzeihen Sie, aber wir müssen wegen der Todesursache nicht länger rätseln. Ich bin mit den Tests fertig. Es war Schierling – in allen drei Fällen.«
~ 49 ~
Als Judith in der Abenddämmerung in Waldau ankam, saßen Walter und Wilhelmina auf der Gartenbank rechts neben der Tür vor Lauras Haus und sahen ihr gelassen beim Arbeiten zu. Laura goss vorsichtig die Stiefmütterchen auf allen Fensterbänken und brach dabei verblühte Stängel aus. Sie schätzte diese abendliche kleine Pflicht der Blumenpflege als Teil eines Feierabendrituals, dem sie schon als Kind gerne gefolgt war. Wilhelmina billigte das Ganze laut schnurrend, und Walter kraulte der Katze zum Dank den Nacken.
»Wie ich sehe, vermisst mich hier niemand«, stellte Judith mit gespieltem Bedauern fest.
»Im Gegenteil, wir sind am Verhungern«, widersprach Walter, und Wilhelmina sprang, wie zum Beleg dieser akuten Gefahr, von der Bank und setzte sich neben einen leeren Fressnapf.
»Die beiden haben recht«, gab Laura zu und nahm ihr Körbchen mit den Blumenresten auf. »Ich habe darauf bestanden, dass wir mit dem Abendessen auf dich warten, Judith. Ich kann euch nämlich was berichten.«
»Sag bloß, du hast schon was gefunden!«, war Judith erfreut.
Laura nickte und wies einladend zur Haustür. »Der Tisch ist fertig gedeckt, es kann gleich losgehen.«
Im Haus begrüßte Walter Judith mit einem innigen Kuss und half ihr aus dem Mantel. Sacht schob er sie in die Küche, wo ein Herdfeuer für gemütliche Wärme und warmes Wasser sorgte.
Walter schnitt Brot ab, freihändig, den ganzen Laib vor die Brust gepresst. »Wie viele Scheiben möchtet ihr denn?«
»Zwei«, antworteten die Frauen synchron.
Wilhelmina bekam Butterhäppchen und war’s einstweilen zufrieden.
»Stellt euch vor, was Tante Irmgard mir vorhin beim Kaffeetrinken erzählt hat: Diese ganze Diskussion mit den Elfen geht wieder los!«, eröffnete Laura das Tischgespräch.
Judith hob fragend die Brauen.
Walter sah ihr Unverständnis und bekräftigte: »Auch Alfi Schuler will sie schon öfter gesehen haben!«
Jetzt musste Judith nachfragen: »Wen hat er gesehen?« Hatte ihr geselliger Nachbar halluziniert?
Walter fing an zu lachen. »Ach, Laura redet von der Elfensage! Das war ja klar, dass das wieder losgeht. Wir haben hier nämlich eine ewig währende Debatte um den korrekten Namen dieser Naturschönheit. Durch den Leichenfund bei den Elf Quellen ist sie mit Vehemenz wieder aufgeflammt. Ein gewichtiger Teil unserer Mitmenschen ist nämlich der sonderbaren Auffassung, es handele sich um Elfenquellen.«
»Nur die Männer!«, warf Laura klarstellend ein.
»Richtig! Mit großer Überzeugung versuchen unsere angeduselten Stammtischbesatzungen zu vorgerückter Stunde, die seltenen Schlafgäste in der ›Altmärkischen Schweiz‹ damit zu beeindrucken, dort unter den Buchen wahrhaftig schon den tanzenden Waldprinzessinnen begegnet zu sein.«
Laura konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen, dass die alkoholgeschwängerten Beteuerungen Alfi Schulers die Glaubwürdigkeit dieser Geschichten eher nicht erhöhten.
»Elf Quellen hat dort im Wald allerdings auch noch niemand gefunden«, betonte Walter augenzwinkernd.
»Aber, was ich eigentlich erzählen wollte«, kam Laura nun zu den ernsthafteren Themen, »Tante Irmgard fielen noch mehr Schandtaten von Otto Holl ein, die darauf hindeuten, dass seine Schwester nicht die einzige Frau war, die unter seinen sexuellen Übergriffen zu leiden hatte. Für seine Mutter war das alles schlimm. Die Luise Holl traute sich oft kaum noch ins Dorf. Immer, wenn was passiert war, dachten alle gleich an ihren Sohn. Ihr Mann Arno, der Förster, verschwand dann einfach tagelang im Wald und blieb unsichtbar, bis sich die Aufregung etwas gelegt hatte. Aber sie? Jemand musste ja die Besorgungen machen und sich um den Garten kümmern. Sie hat kaum mal ein Wort mit jemandem gesprochen, die Luise, so sehr hat sie sich geschämt. Irgendwann verschwanden Sohn und Tochter aus der Gegend und die Luise hat sich bald danach umgebracht. Wie es hieß, mit Tabletten oder Gift. Und der Arno hat es dann auch nicht mehr lange gemacht. Ganz schön traurig, das alles ... Aber nun passt auf.« Laura berichtete ausführlich von ihrem Vorgehen und von den Ergebnissen ihres Aktenstudiums zu Berthold Lemke. Judith und Walter hörten ihr aufmerksam zu, bis sie kritisch schloss: »Ich weiß nicht, ob euch das wirklich
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