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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Schroll
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jemandem etwas getan!«
Das stimmte nicht, wusste Judith Brunner. Doch wusste es auch Hella Singer? Die Kommissarin war sich nicht sicher, ob sie die Attacke Singers auf Holl zur Sprache bringen sollte. »Wie lange kannten Sie Ihren Mann eigentlich?«
»Was soll die Frage?!«
»Es besteht die Möglichkeit, dass das Motiv für den Mord an Ihrem Mann einige Jahrzehnte zurückliegt.«
Falls Hella Singer diese Annahme verwundern sollte, ließ sie es nicht erkennen. »Nun ja! Wir haben uns 1960 das erste Mal getroffen, durch eine Studienreise von Eduard. Er hat in einer Pension bei uns im Ort übernachtet.« Der Anflug eines Lächelns zeigte sich auf ihrem Gesicht. »Noch im selben Jahr haben wir geheiratet und sind hierher in das Haus seiner Familie gezogen. Wir haben immer recht einfach und bescheiden gelebt. Da ist nichts, was so etwas Unerträgliches wie Eduards Ermordung rechtfertigen könnte.«
Judith Brunner dachte nach. Das Paar hatte sich ein paar Jahre nach den Ereignissen um Jenny Holls Vergewaltigung kennengelernt. Singer musste seiner Frau nichts davon erzählt haben. Sie fragte: »Sagen Ihnen die Namen Otto Holl oder Arnold Pfeiffer etwas?«
Hella Singer schloss die Augen einen Moment und überlegte. »Nein. Wer sind die beiden?«
»Wir sind bei unseren Ermittlungen auf diese Namen gestoßen«, blieb Judith Brunner in ihrer Antwort vage.
Doch schien Hella Singer an einer weitergehenden Erklärung nichts zu liegen. Sie lehnte sich auf der Bank zurück und blickte ins Leere.
Lisa Lenz hatte Judith von einer Geldquelle berichtet, von der Holl und Pfeiffer behauptet hatten, einfach darauf zurückgreifen zu können. »Verfügen Sie über Vermögen? Oder irgendetwas von Wert?«, fragte sie Hella Singer.
»Woher denn? Eduard war Lehrer und ich Verkäuferin. Seit einigen Jahren schon leben wir von seiner Rente. Wir kommen – kamen – immer gut zurecht, auch ohne dass wir reich waren. Nein. Bei uns gab es nicht viel zu holen.«
Das Gespräch nahm Hella Singer mittlerweile sehr mit. Judith Brunner versuchte es noch mit ein, zwei Nachfragen, doch auch damit gelang es ihr nicht, brauchbarere Auskünfte zu Eduard Singers Leben zu erhalten. Die Frau schien am Ende ihrer Kräfte.
Judith Brunner verabschiedete sich.
Auf der Rückfahrt dachte sie erneut über mögliche Gründe für Singers Ermordung nach. Kurz vor Gardelegen fiel ihr ein, dass sie eines der klassischen Mordmotive bisher völlig außer Acht gelassen hatte – die Eifersucht. Gab es außereheliche Beziehungen bei den Singers? Liebe und Hass lagen oftmals nahe beieinander. Hella Singer war eine schöne Frau und das Alter spielte bei derlei Dingen keine Rolle. Und was wäre, wenn ...

    ~ 53 ~
     
    Walter Dreyer hatte seine übliche Morgenrunde durch Waldau beendet. Dieser längere Kontrollgang gehörte zur Routine seiner Arbeit, an die sich alle Bewohner im Dorf längst gewöhnt hatten. Die Waldauer verließen sich quasi schon darauf, ihren Ortspolizisten bei dieser Gelegenheit ansprechen zu können und kamen deshalb kaum noch zu den Sprechzeiten in sein Büro. Dreyers Weg führte ihn an allen Gehöften vorbei; er sah auch nach den abgelegeneren Ställen, den weniger genutzten Gebäuden oder den außerhalb des Dorfes gelegenen Gärten. So konnte er sich vergewissern, dass alles in Ordnung war – oder eben nicht. Doch Anlass zur Aufregung gab es selten, von ernsten Vorfällen ganz zu schweigen. Dreyer gab bei seinen Spaziergängen auch immer acht, ob die betagten oder erkrankten, allein lebenden Waldauer zurechtkamen, wie es Alfi Schuler oder anderen über die Maßen trinkenden Zeitgenossen erging, oder er ertappte Wiederholungstäter beim Schuleschwänzen und brachte sie zum Unterricht.
Besonders aufmerksam war er immer, wenn er am Haus von Elvira Bauer vorbeikam. Die junge Frau sah trotz des neuen Glücks mit Leon Ahlsens immer noch ein wenig verschattet aus, und Dreyer konnte mit seinen Schuldgefühlen, sie zu Beginn ihres Lebens in Waldau nicht genügend unterstützt zu haben, nur schwer fertig werden. Doch je deutlicher wurde, wie gut es den Kindern, Elvira und Leon gemeinsam ging – und ein Baby war da wohl ein zuverlässiger Hinweis – desto schweigsamer wurde sein Gewissen.
Heute Vormittag war er, ohne sich akut um etwas kümmern zu müssen, von seinem Rundgang ins Büro zurückgekehrt. Nun saß er an seinem Schreibtisch, eine Tasse frisch gebrühten Kaffees vor sich. Er überlegte, ob er sich aufraffen könnte, etwas von dem unvermeidlichen

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