Giftweizen
aufbekommen.« Dann begann auch er, sich systematisch nach brauchbaren Hinweisen umzusehen.
Judith Brunner wandte sich an den Breitenfelder Ortspolizisten: »Bei einem Gespräch, das ich mit Frau Singer am Sonnabend führte, half ihr eine Frau im Haushalt, die sie mit Anneliese anredete. Auch eine Meta wurde erwähnt. Sagen Ihnen die Vornamen etwas?«
Lange nickte. »Ja, ich denke schon.«
»Könnten Sie die beiden herbringen? Ich möchte mich mit ihnen unterhalten. Verraten Sie aber bitte noch nichts darüber, was geschehen ist.«
Manfred Lange grüßte korrekt und verschwand.
Inzwischen war auch Walter Dreyer wieder am Haus angekommen, hatte Judith in einem unbeobachteten Moment zugezwinkert und sah sich nun mit ihr und Ritter im Wohnzimmer der Singers um. »Ein schöner Raum. Die beiden haben sich wohlgefühlt, das spürt man«, beschrieb er seinen Eindruck.
Ritter, der sich bereits vom ganzen Haus einen Eindruck verschafft hatte, ergänzte: »Die anderen Räume sind ebenso wohnlich. Schöne Hölzer, viele Bücher, gemütliche Polstermöbel. Offenbar lieben die Singers die Natur; alle Bilder an den Wänden zeigen Landschaften oder Tiere.« Mühelos rückte er ein zweitüriges Schränkchen von der Wand ab und leuchtete mit einer hellen Taschenlampe dahinter.
Judith konnte die Schönheit des Zimmers nicht mehr faszinieren. Sie fühlte sich von der Bewohnerin dieser geschmackvoll eingerichteten Räume, der sie ihr aufrichtiges Mitgefühl entgegengebracht hatte, schwer hintergangen, denn nun war offenbar geworden, dass es für ihre ehrliche Anteilnahme keinen Grund gegeben hatte. Als Ermittlerin war Judith Brunner natürlich daran gewöhnt, angelogen zu werden, doch Hella Singer hatte sie gemocht, die Frau war ihr sympathisch gewesen, und insofern war Judith um so mehr enttäuscht.
Thomas Ritter, der gerade die Schubfächer einer alte Kommode mit gemangelter, leinener Tischwäsche durchsucht hatte, blickte sich nochmals um und gab seine Ansichten zur Raumgestaltung preis: »Mir fällt auf, dass kein Foto von den beiden, egal ob als Paar oder als Porträt, oder irgendein anderes Familienfoto, zu sehen ist. Wie sieht die Singer überhaupt aus? Wir brauchen da sicher was Aktuelles für die Fahndung. Ich habe aber absolut nichts entdecken können! So was hängt doch eigentlich bei jedem in der Wohnung.«
Judith warf Walter einen unauffälligen Blick zu. Weder bei ihr und Laura im Haus noch bei ihm hingen solche Fotos. Nirgendwo. Niemand sollte, und sei es nur bei einem zufälligen Besuch, auf eine private Verbindung zwischen ihnen stoßen.
Ritters beiläufige Äußerung über die fehlenden Fotos des Ehepaares brachte Judith jedoch auf einen Gedanken, den sie im ersten Moment kaum zu denken wagte, der ihr dann aber so naheliegend erschien, dass sie sich wunderte, wieso sie nicht schon eher darauf gekommen war! Warum wohl sollte niemand ein Foto von Eduard oder Hella Singer sehen?!
Sie wirkte in sich gekehrt, und Walter deutete das als Erschöpfung. Er wollte sie aufrichten: »Das meiste ist doch geklärt«, meinte er froh. »Wir wissen, wer die Mörder sind. Jetzt müssen wir nur noch rausbekommen, wo sie stecken, wessen Hände die beiden uns als Eduard Singers untergeschoben haben und was aus Jenny Holl geworden ist.«
»Ich denke, ich weiß, was aus Jenny Holl geworden ist.« Fast atemlos, als könnte sie selbst ihrer plötzlichen Eingebung noch nicht so recht trauen, setzte sie fort: »Sie sitzt auf dem Sozius eines Motorrades und ist mit ihrem Mann auf der Flucht.«
~ 56 ~
Auf einmal passte alles zusammen.
Das geschah bei fast jeder Ermittlung, zumindest bei den erfolgreichen, und davon waren Judith schon etliche gelungen. Das Gefühl, in einem verzwickten Fall endlich die Fäden in der Hand zu haben, war jedes Mal aufs Neue unglaublich befriedigend. Sie lächelte siegessicher.
Nachdem sie ihre Vermutung laut im Wohnzimmer der Singers ausgesprochen hatte, war es einen Augenblick ruhig geblieben, bis Ritter frohlockend ausrief: »Genau! Das ist es!«
Walter konnte gar nicht anders, als Judith zu bewundern. Er suchte nur nach einer unverfänglichen Äußerung, denn seinen eigentlichen, nach inniger Berührung drängenden Empfindungen konnte er in Ritters Gegenwart natürlich nicht nachgeben. So sagte er nur: »Großartig! Nur das kann die Lösung sein!« Doch dabei sah er Judith auf eine Weise an, dass ihr am ganzen Körper heiß wurde.
Wenig später meinte Walter: »Wenn das stimmt, hatten die beiden Singers
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