Giftweizen
Martin Bach diesen Liebesbrief geschrieben hatte, sonst hätte sie ihn nicht, so arglos versteckt, aufbewahrt. Sicher hätte Laura ihn ins Vertrauen gezogen, wenn immer noch was zwischen ihnen liefe. Doch warum wusste er nichts von einem M, der sie mit »Liebste« anredete? Nachdenklich schob Walter den Brief wieder in das Buch zurück und legte es behutsam an seinen alten Platz.
Er trank den letzten Schluck Kaffee, der inzwischen kalt und bitter geworden war. Jetzt plagte ihn das schlechte Gewissen. Man kramte nicht einfach in fremder Leute Sachen. Doch er konnte es nicht ungeschehen machen. Seine Sonntagsstimmung war verflogen. Er räumte noch ein wenig auf, ging in sein Haus zurück und erledigte den anstehenden Papierkram. Das Ablenkungsmanöver half aber nicht. Dann sah er auf die Uhr. Es war Zeit für seinen Wochenendbesuch. Laura und ihre Geheimnisse! Sie ließen ihn einfach nicht los.
Walter Dreyer traf Johannes Meiring schon bei den Vorbereitungen für das Mittagessen an. Seit geraumer Zeit hatte er es sich angewöhnt, regelmäßig bei seinem alten Lehrer vorbeizusehen, der, nun hoch in den Achtzigern, Mühe hatte, den Alltag würdevoll zu meistern. Das Alter ärgerte Meiring mit körperlichen Gebrechen, doch seiner Lust auf Bücher, seinem Gesprächstalent und seinem Gedächtnis hatte es noch nichts anhaben können.
Walter Dreyer erledigte ab und zu nötige Besorgungen in der Stadt oder begleitete Meiring zu geplanten Arztterminen, und er hatte mit etwas Geld dafür gesorgt, dass Alfi Schuler, ein geselliger, trinkfester Zeitgenosse und im Dorf stets willkommene Hilfskraft, sich regelmäßig im Haushalt des alten Herrn nützlich machte.
Johannes Meiring hatte Walter vor Monaten gebeten, ihn zum Dank für die Unterstützung zum Mittagessen einladen zu dürfen, und daraus war eine lose Verabredung geworden – sonntags erschien Walter nun öfter bei Meiring zu Tisch.
Heute sollte es Kartoffelbrei mit Stippe geben.
Die Männer begrüßten sich.
»Bin gleich fertig. Du hast doch sicher großen Appetit mitgebracht.«
Das war von Meiring nicht als Frage gedacht und bei dem Duft, den die in der Pfanne brutzelnde Mischung aus Schinkenspeck und Zwiebeln verbreitete, wäre Walter eine Verneinung sowieso unmöglich gewesen.
Meiring bedeutete ihm, Platz zu nehmen, und begann, den Küchentisch zu decken. Aus seiner Speisekammer brachte er zwei Flaschen Bier und wollte nun Gläser aus dem Schrank holen. Er humpelte und jeder Schritt fiel ihm schwer, denn das Rheuma wurde von Jahr zu Jahr schlimmer.
»Ich mach das schon«, bot sich Walter an, geleitete Meiring zu seinem Stuhl, öffnete die Biere, schenkte ein und prostete seinem Gastgeber zu. Ein vertrautes Schweigen umgab die zwei.
Dann stand Walter auf und goss die weich gekochten Salzkartoffeln ab, tat einen Klecks Butter und warme Milch dazu, rieb etwas von einer Muskatnuss darüber und stampfte die Mischung zu Brei. Er tat Meiring und sich eine große Portion davon auf, in die er mit der Gabel mittig eine Vertiefung drückte. Da hinein wurde der ausgelassene Speck mit den Zwiebeln gefüllt und nun konnte die einfache Mahlzeit beginnen. Das Essen war sehr heiß; es blieb also genug Zeit für einen weiteren Schluck Bier.
»Danke für die Einladung. Das hatte ich lange nicht auf dem Teller und es schmeckt immer wieder hervorragend!«
»Freut mich. Lang kräftig zu«, forderte Meiring auf, froh, den Geschmack seines Gastes getroffen zu haben.
Nach ein paar Happen sagte Walter: »Es gibt etwas, worüber ich gern mit Ihnen reden möchte.«
»Na, dann fang an.«
»Es geht eigentlich um einen Mann aus Breitenfeld, Eduard Singer. Kennen Sie den?«
Meiring überlegte. »Ja schon, ich weiß, wer das ist. Aber kennen? Wenn du über den etwas wissen willst, musst du mit Botho Ahlsens reden.«
»Ahlsens?« Hatte der nicht behauptet, Singer nicht zu kennen? Oder hatte er Judith missverstanden?, wunderte sich Walter.
»Klar, die haben doch an der gleichen Universität studiert«, wusste Meiring.
»Was? Wo?«
»Ach Walter, so genau weiß ich das nun auch nicht mehr.« Doch Meiring begann, nachzudenken.
Inzwischen nahm Walter sich einen reichlichen Nachschlag. Warum sollte Ahlsens seine Bekanntschaft mit Singer verschwiegen haben? Gemeinsam studiert? Wenn die Hochschule groß genug war, musste man sich nicht zwangsläufig kennen. Schon gar nicht, wenn man nicht im selben Studienjahr war. Trotzdem! Er musste Judith irgendwie erreichen. Walter erinnerte sich an das, was er über Botho
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