Giftweizen
und den sonstigen Fällen in der Notaufnahme, den Knochenbrüchen, den Bauchschmerzen und den Betrunkenen. Auch die Dienstpläne der betreffenden Tage hatte er kopieren lassen und hinzugefügt.
Bei den Patienten hatte der Ärztliche Direktor allerdings keine Namen, sondern lediglich die Anfangsbuchstaben der Vor- und Zunamen, die Diagnosen und das Alter notiert und im Nachsatz handschriftlich hinzugefügt, dass er selbstverständlich bereit sei – in sicher gut begründbaren Fällen – der Polizei den jeweiligen Namen preiszugeben.
Mit dieser detaillierten Liste hatte Dr. Grede die Befragungen beim Krankenhauspersonal und bei den verschiedenen Dienstleistern tatsächlich schon am gestrigen Nachmittag beginnen können; allerdings waren jetzt am Wochenende nur wenige Leute erreichbar gewesen.
Immerhin – erste aufschlussreiche Ergebnisse dieser Befragungen fand Judith Brunner nun säuberlich getippt vor.
Sie las mit wachsendem Erstaunen, was in einem vergleichsweise kleinen Kreiskrankenhaus so los war. Hinter den Kulissen gab es offenbar kaum eine Stunde, in der nicht irgendetwas weggeschafft oder angeliefert wurde: Bereits kurz nach Mitternacht erschien ein erster Lkw, der die schmutzige Wäsche des vergangenen Tages abholte. Neben Bettwäsche und Handtüchern aus den Patientenzimmern waren Ärztekittel, die Kleidung der Schwestern, OP- und Labor-Bekleidung zu waschen. Hinzu kamen noch die Textilien aus dem Bereich der Krankenhausküche. Der Fahrer der Dreckwäsche hatte bei seiner Befragung erklärt, dass kurz nach ihm ein anderer Kollege neue, frisch gewaschene Wäsche ins Krankenhaus bringe. Das passierte jeden Tag. Aus hygienischen Gründen trennte die Wäscherei hier sogar die Fahrzeuge, und seit Jahren hätte es deswegen mit der Wäsche keine Probleme gegeben.
Ebenfalls sehr früh, fast noch in der Nacht, erschien das Auto mit den Backwaren, die für die Patientenversorgung und die Kantine des Krankenhauses benötigt wurden. Auch hier gab es tägliche Lieferungen, außer sonntags, da ruhte die Arbeit in der Großbäckerei.
Und dann kam, jeden Werktag gegen acht, ein Lieferauto voll mit den übrigen Lebensmitteln, die für die Versorgung im Krankenhaus gebraucht wurden.
Das waren die aufgeführten täglichen Termine. Zudem wurden jede Woche dienstags Arzneimittel, medizinische Hilfsmittel und ärztliche Instrumente geliefert, die dann über die Krankenhausapotheke an das medizinische Personal der Stationen ausgegeben wurden.
Havarie- oder Reparatureinsätze durch fremde Handwerker waren im vakanten Zeitraum nicht zu erledigen gewesen.
Die Wartung der Großgeräte übernahmen Fachleute in turnusmäßigen Abständen, wobei zur fraglichen Zeit, wie Judith Brunner beim Vergleich der Daten feststellte, keiner dieser Spezialisten im Krankenhaus war.
Von den Leistungen in der Notaufnahme war Judith beeindruckt: jeden Tag mehr als zehn Fälle! Sie vergewisserte sich – richtig, am Donnerstag war auch Eduard Singer als Notfall von seiner Frau gebracht worden. Diesen einen Namen hatte Dr. Frederich ausgeschrieben. Es war üblich, dass Kranke oder Verletzte von einem der zwei Krankenwagen eingeliefert wurden. Offenbar war es aber ebenso normal, dass das durch Familienmitglieder, Kollegen oder bei Schulkindern auch durch Lehrer geschah. Letzten Donnerstag, an dem Tag, an dem Singer verstarb, waren außer ihm zunächst zwei schwangere Frauen und ein junger Mann mit Verbrennungen über die Rettungsstelle stationär aufgenommen worden; alle mit den Rettungswagen gebracht. Der letzte Patient an diesem Abend war dann ein Bauer aus Berge gewesen, einem kleinen Nachbardorf von Gardelegen, der sich beim Holzhacken am Bein verletzt hatte und spät noch operiert worden war. Der Krankenwagen hatte den Mann, wie genauestens festgehalten worden war, 18:20 Uhr eingeliefert. Dann war es ruhig geblieben. Konnte danach, gleich am Abend, oder dann später in der Nacht, Singers Leichnam gestohlen worden sein? Oder war es tatsächlich erst am Freitag in den frühen Morgenstunden geschehen?
Judith Brunner beschloss, die offenbar recht allgemeinen Befragungen der verschiedenen Fahrer und des medizinischen Personals, von denen niemandem etwas Besonderes aufgefallen war, gezielter zu wiederholen: Bei den Wäschefahrern, denn deren Autos boten gute Versteckmöglichkeiten für Leichen, und bei den Leuten aus dem Krankenwagen, die den Holzhacker gebracht hatten. Während ihres Aufenthalts im Krankenhaus könnte das unbefugte Eindringen in die
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