Giftweizen
losgelassen.«
Laura reichte Walter die Kaffeebüchse. »Du sagtest damals, dass es einfach zu leicht gewesen war, ihn zu einem Geständnis zu bringen.«
»Richtig«, bestätigte Judith. »All das, was ohnehin nicht zu leugnen war, gab Lemke schon nach kurzem Widerstand zu und auch bei den weniger klaren Vorhaltungen machte er kaum Probleme.«
»Und du bist dir inzwischen sicher, dass er gelogen hat?« Laura ahnte schon, worauf Judith mit ihren Bemerkungen eigentlich hinaus wollte.
»Oh nein, er hat zwar viel Mist von sich gegeben, aber zur Sache hat er keine Falschaussage gemacht. Zumindest nicht, was die Ereignisse in jenem Winter anbelangt. Höchstwahrscheinlich ist Lemke ein sehr geschickter Lügner. Doch das sind viele Verbrecher. Mit seiner Kooperation wollte er die Verhöre schnell hinter sich bringen und keine weiteren Untersuchungen provozieren. Meine Überzeugung war und ist bis heute, dass er nur gestanden hat, damit wir nicht tiefer in seiner Vergangenheit graben. Seine Opfer hatten das Pech, seinen unmittelbaren Wünschen im Wege zu stehen. Einer wie Lemke plant nicht. Er löst mit Mord einfach seine Probleme und hat keinerlei Gewissensbisse.« Konzentriert sah sie Laura an: »Der springende Punkt ist: Hat er wirklich erst mit zweiunddreißig Jahren wie aus heiterem Himmel damit angefangen, Leute dermaßen skrupellos umzubringen?«
»Noch mehr Opfer?«, fragte Laura, nur um zu signalisieren, dass sie die Schlussfolgerung auch gezogen hatte.
Judith nickte. »Allerdings sind größere Pausen zwischen den Taten für Mörder wie Lemke nicht ungewöhnlich. Ich möchte herausfinden, was in den Jahren zuvor geschehen ist. Das kann alles schon in seiner Jugend begonnen haben ... Die Sache vom letzten Jahr ist für die Staatsanwaltschaft abgeschlossen. Lemke sitzt mit Höchststrafe ein. Ich habe aber mit Walter den Fall immer wieder diskutiert und wir wollen weitermachen. Und es wäre schön, wenn du uns helfen würdest. Inoffiziell natürlich.«
Laura musste nicht zweimal gebeten werden. »Ich bin dabei.« Recherchieren war ihre Profession, und was gab es Spannenderes, als der Blutspur eines Serienmörders zu folgen. Zeit hatte sie auch. Aus ihrer Sicht sprach nichts dagegen.
»Wir haben es dabei nicht eilig. Der Mann ist im Gefängnis und kann keinen größeren Schaden mehr anrichten. Doch falls es weitere Opfer gab, und davon bin ich überzeugt, haben die ein Recht darauf, gefunden zu werden. Und ihre Angehörigen würden sicher auch gern die Gewissheit haben, dass die Verbrechen nicht ungesühnt bleiben.«
Laura nickte.
Walter schenkte allen vom frisch gebrühten Kaffee nach und nickte Judith aufmunternd zu.
Sie erklärte Laura weiter: »Das ganze vergangene Jahr über habe ich mich, wenn es in der Dienststelle mal etwas ruhiger zuging, damit beschäftigt. Da Berthold Lemke mein Fall war, konnte ich bei anderen Dienststellen immer gut begründet um Unterlagen bitten, einfach, um noch etwas zu überprüfen. Niemand hat da Schwierigkeiten gemacht. Also habe ich allerhand Material über ihn zusammenbekommen.« Judith stand auf und ging in ihr Schlafzimmer. Als sie wieder in die Küche kam, trug sie einen großen Pappkarton und stellte ihn neben Laura auf dem Boden ab. »Ich habe mir von allen Unterlagen Kopien gemacht. Von den Personalakten der diversen Arbeitsstellen, seinen Haftakten, den Akten von der Wiedereingliederungsstelle, den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bei seinen vorherigen Straftaten, Meldeunterlagen, sogar aus seiner Schulzeit gab es noch etwas.«
Laura staunte: »Das ist wirklich allerhand.«
»Richtig. Und dann habe ich angefangen, ein Bewegungsprofil zu erarbeiten. Also, ich habe genau aufgeschrieben, wo Lemke wann war und wie lange er dort jeweils geblieben ist.«
»Oh, je. Das war sicher eine Sisyphusarbeit.«
»Schon. Aber es war nicht allzu kompliziert.«
»Und?« Laura wusste, dass jetzt erst die Aufgabe kam, die sie erledigen sollte.
»So weit bin ich bis jetzt gekommen. Laura, dich wollte ich nun bitten, die alten Akten im Archiv der Gardelegener Dienststelle zu überprüfen, nachzusehen, ob irgendwelche Vorkommnisse oder Straftaten zu diesen Orten und Zeitabschnitten passen.«
»Alle Akten?« Laura wollte bloß den Arbeitsaufwand einschätzen können; eine größere Menge schreckte sie nicht.
Judith blickte sich kurz um. »Im Keller gibt es einen Raum etwa von der doppelten Größe dieser Küche. Er ist bis unter die Decke mit Akten gefüllt.«
Laura blieb gelassen. Das war kaum
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