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Giftweizen

Giftweizen

Titel: Giftweizen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Schroll
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Pathologie erfolgt sein.
Judith Brunner vermisste außerdem eine Berufsgruppe auf Dr. Frederichs Liste, die sie für außerordentlich wichtig in diesem seltsamen Fall hielt: die Bestatter.
    ~ 26 ~
     
    Laura Perch hatte bei ihren diversen beruflichen Außenterminen schon eine bemerkenswerte Anzahl von Räumen gesehen, die als »Archiv« herhalten mussten, dieser Bezeichnung aber keinesfalls gerecht wurden. Überheizte oder zu kalte, wahlweise nasse oder schimmelige Dach- oder Kellerräume mit Mäuse- oder Rattenkot, Katzenflöhen, verhungerten Tauben – alles war schon dabei gewesen.
Hier nun schloss Lisa Lenz ihr einen Raum im Keller auf, der mit graugrünen Stahlregalen vollgestellt war. »Gehörte bis vor einigen Jahren mal alles zum Großreich der Zivilverteidigung«, erklärte Judiths Mitarbeiterin locker. »Die hatten hier wohl ihre sämtlichen Gasmasken, Schutzanzüge, Leuchtmunition, Decken und sonst noch alles Mögliche eingelagert. Was man bei einem Atomschlag eben so gebrauchen kann ... Der Hausmeister schwärmt mir immer noch davon vor und trauert dem ganzen unnützen Zeug tatsächlich hinterher«, zwinkerte sie Laura zu und überließ der Archivarin den Raum.
Gasmasken gegen Akten. Eigentlich ein ganz netter Tausch, fand Laura. »Nun, ein Archiv mit verstaubten Akten ist für einen Hausmeister selbstverständlich nicht ganz so prestigeträchtig wie ein Lager voller Leuchtmunition«, murmelte sie still vor sich hin und erinnerte sich an ihre Zeit im Lager für Zivilverteidigung: Die fragwürdige Ausbildung im vierten Semester des Studiums hatte jeder zu überstehen. Spätnachmittags lauschte sie den regelmäßigen Orchesterproben der ebenfalls kasernierten Musikstudenten und während ihrer Nachtwachen hatte sie so viel Schach gespielt, wie nie wieder in ihrem Leben. Und beides hatte ihr geholfen, diesen Monat zu überstehen, ohne an Langeweile und Unterforderung einzugehen. Als nützlich hatte sich erwiesen, dass man ein Zertifikat über den absolvierten Erste-Hilfe-Kurs und einen Nothilfe-Pass mit Blutgruppenbestimmung bekam. Hinsichtlich der vermittelten Gegenmaßnahmen bei einem Angriff mit ABC-Waffen teilte sie uneingeschränkt Lisas Zweifel an deren Sinnhaftigkeit.
Laura sah sich um. Das Archiv der Kreisdienststelle war in akzeptablem Zustand. Es roch weder muffig, noch waren Tierchen beim Lichteinschalten weggehuscht. Ausreichend helle Beleuchtung aus summenden Neonröhren, drei ausrangierte Schreibtische und einige leere Holzregale an der Türwand würden ein zügiges Arbeiten ermöglichen. Gutes Licht und viel Platz zum Sortieren waren wichtig. Augenscheinlich lagerten die Akten in chronologischer Reihenfolge – zumindest legte eine erste Sichtung der oberen Hefter in verschiedenen Regalfächern das nahe. Laura hoffte, dass wenigstens dieses simple Ordnungsprinzip über die Jahre beibehalten worden war.
Die ewigen Witzbolde einer jeden Dienststelle hatten mit Reißzwecken diverse Zettelchen mit den üblichen Bürosprüchen an die Stirnseite des ersten Holzregals gleich neben der Tür gepinnt. Von » Bin auf der Arbeit, nicht auf der Flucht « bis » Ist der Chef nicht da, entscheidet sein Vertreter. Ist der auch nicht da, entscheidet der gesunde Menschenverstand « war wieder einmal alles vertreten. Wie originell! Laura hatte das einfach schon zu oft gesehen. Ah, da war wenigstens mal ein polizeiaffiner Spruch: » Achtung! Schon ein kleiner Abstecher kann lebenslang ins Gefängnis führen «. Na ja, doll war der auch nicht.
Laura bedauerte seufzend die Einfallslosigkeit dieser Sprücheklopfer, da fiel ihr Blick auf einen schlichten, verstaubten Rahmen, der rechts neben einem Regal an der Wand hing. Hinter Glas war eine einzelne Seite aus einem alten Buch zu sehen, durchscheinende Klebestellen am oberen Rand zeugten von der Fixierung auf einem ehemals weißen, nun vergilbten Blatt Papier. Sowohl Struktur und Farbe der Buchseite als auch die Druckschrift deuteten auf das 19. Jahrhundert. Auf dem Blatt, welches oben links mit einer IV bedruckt worden war, stand mit alten Lettern geschrieben: » Soviel ist gewiß, man erkennt einen Altmärker, besonders einen Altmärker vom Lande, leicht und auf den ersten Blick. Alle Generalisirung und Uniformirung der neueren Civilisation, alle politische Verschmelzung mit anderen Stämmen und Regierungen hat seine Besonderheiten, seinen specifischen Nationaltypus nicht zu verwischen vermocht. Ist er auch ein Preuße, ist er auch ein Märker, so ist er doch ein

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