Giftweizen
gestellt hatte, war sechs Jahre alt und fragte eben nach einem Vater, ein verständlicher Wunsch eines kleinen Kerls. Leon sollte das nicht überbewerten. »Was hast du denn dazu gesagt?«, wollte Walter wissen.
»Na, dass seine Mama das entscheiden müsse.«
»Gut. Und? War Fritzi zufrieden mit dieser Antwort?«
Leon griente. »Nicht ganz. Er meinte, die habe mich doch lieb, und er und Dany auch. Für ihn genügt das.« Nach einer kleinen Pause bat er: »Sag mal, ganz ehrlich: Bin ich noch zu jung für eine Familie?«
Walter musste laut lachen. »Wie kommst du denn darauf! Du bist jetzt – wie alt? Sechsundzwanzig? Worauf willst du warten? Du kannst selbstverständlich mit einer Frau zusammenleben. Und mit zwei Kindern auch. Ihr liebt euch, das ist entscheidend, nicht, wie alt ihr seid.«
»Du traust mir das wirklich zu?« Leon war die Erleichterung deutlich anzuhören, ein bisschen Stolz auch. Fast schien es, als glitzerten Tränen in seinen Augen.
»Aber sicher. Du hast doch bewiesen, dass du gut für die drei bist.« Doch dann wurde Walter stutzig. Wieso blieb Leon plötzlich stumm? »Leon, warum führen wir dieses Gespräch eigentlich?«
Nach kurzem Zögern rückte der junge Mann verlegen mit der Sprache raus: »Wir bekommen ein Baby! Stell dir das mal vor! Elvira hat es mir vorhin erst gesagt.«
»Was?!« Damit hatte Walter nicht gerechnet. »Mensch, sind das tolle Nachrichten! Ich gratuliere euch!« Er zog Leon an sich und umarmte ihn heftig, was bis dahin noch nie vorgekommen war.
Jetzt strahlte auch Leon. »Ich kann es immer noch nicht glauben! Ich werde Vater!«, rief er begeistert aus.
Walter jubelte mit: »Ich hab es gehört, Leon, ich habe es genau gehört – und mich selten so gefreut. Da kannst du dir sicher sein.«
Die Männer schauten glücklich in die Landschaft und schwiegen, noch ganz überwältigt von ihrer Freude.
»Wenn ich überlege, wie schnell die Zeit vergeht. Meine Kumpel und ich, gerade noch beim Studium ...«, sinnierte Leon leise vor sich hin. »Feten, Mädchen, Unabhängigkeit. Was waren wir bloß für ein Haufen verdammter Aufschneider und Schwerenöter!«
Leon hatte Architektur studiert. Das war Walter nicht neu. Und dass junge Kerle ständig voreinander angaben, auch nicht. Walter erinnerte sich an seine Zeit in diesem Alter und wurde für einen Moment nachdenklich. Zum Ende der Ausbildung oder kurz vor dem Wehrdienst hatten seine Kumpel, einer nach dem anderen, angefangen zu heiraten und bekamen Kinder, und er war jedes Mal aufs Neue erstaunt, ja fast bestürzt gewesen, wenn ihm wieder einer davon erzählte. Diese Jungs machten nun auf Familie? Wieso? Er verstand es nicht. Bei manchen wusste er einfach, dass die Ehen nicht lange halten konnten. Er kannte sie zu gut. Ihm taten deren Kinder schon leid, als es die noch gar nicht gab, denn es konnte kein harmonisches Familienleben geben, nicht bei diesen Eltern. Was ihm allerdings am meisten auf die Nerven ging, war die penetrante Mission dieser tollen Paare: Ständig boten sie ihm ihr Lebensmodell als erstrebenswert an und schienen beleidigt zu sein, dass er nicht begeistert war. Jede Einladung in das junge Familienglück schien von dem unterschwelligen Vorwurf flankiert: Wieso lebst du nicht wie wir!? Walter fielen dann stets Dutzende Gründe ein.
Das gab sich erst, als ihn sein Beruf als Polizist hierher nach Waldau führte und er, unbelastet von alten Bekanntschaften, ein Leben nach seinen Vorstellungen gestalten konnte. Natürlich war er in seiner Jugend auch mehrfach verliebt. Heftig sogar. Doch nie hatte er so empfunden, dass er mit einem dieser Mädchen eine Familie hätte gründen wollen. Er genoss seine Unabhängigkeit – bis sich mit Judith alles geändert hatte, ausnahmslos. Mit ihr wollte er sein Leben teilen und es gefiel ihm überhaupt nicht, dass sie nicht offen zusammenwohnen und leben konnten.
»Walter?«, holte Leon ihn aus seinen Überlegungen zurück. »Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist. Mein Leben ist so ... unerwartet. Mir geht es jetzt richtig gut, hier in Waldau, mit Elvira und den Kleinen, und ich bekomme ein Kind. Ist das nicht verrückt?« Er klang wie ein verliebter Kater.
Walter freute sich, dass Leon die Vaterschaft so unbeschwert sah. »Frag sie behutsam, ob du bei ihr einziehen darfst. Das ist jetzt der geeignete Zeitpunkt, denke ich«, kam er auf den Grund ihres Gespräches zurück.
Leon war beruhigt, dass Walter ihn verstand und ihm zuredete. Und dann bekam er doch wieder Zweifel: »Was ist,
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