Giftweizen
Prüfergebnissen ab. Dann schüttelte er den Kopf. »Davon ist nichts nachweisbar gewesen. Darauf hatte ich zuerst begonnen zu prüfen. Das sind ja – leider – alles die üblichen Mittel.«
Dr. Grede und Judith Brunner wussten, was Dr. Renz meinte. Für verschreibungspflichtige Schmerzmittel oder Psychopharmaka gab es einen endlosen Bedarf, der mit legalen Rezepten für manche nicht zu befriedigen war. Tablettenabhängige Menschen zahlten ordentlich Geld an die dubiosesten Leute, um ihren Bedarf befriedigen oder möglicherweise sogar ihre Selbstmordabsichten umsetzen zu können. Erst letztes Jahr waren zwei Ärzte in Magdeburg wegen illegalen Handels mit Betäubungsmitteln verurteilt worden. Sollten sie nun hier in Gardelegen auf solche gewissenlosen Geschäftemacher gestoßen sein?
»Hm, schade, einen Versuch war es wert«, bedauerte Dr. Grede.
Dr. Renz regte an: »Haben Sie sich schon hier in der Krankenhausapotheke erkundigt?«
»Was meinen Sie?«
»Na, ob hier auch was fehlt. Die Apotheken werden doch alle zentral versorgt und haben dadurch denselben Lieferanten, soweit ich weiß.«
Dr. Renz hatte recht, überlegte Judith. Die Fehlbestände, die in der Stadt-Apotheke bemerkt wurden, könnten bereits im Zentrallager oder während der Auslieferung entstanden sein.
»Ich gehe nachher dort vorbei«, kündigte Dr. Grede an und nahm seine Liste wieder an sich.
»Ich hatte Ihnen doch gesagt, dass ich etwas für Sie habe!«, half Dr. Renz den beiden Besuchern über ihre Enttäuschung hinweg. »Ich konnte nämlich gerade eine gründliche Untersuchung der von mir bei den Elf Quellen eingesammelten Leichenteile abschließen und habe festgestellt, dass dieser unbekannte Tote ebenfalls vergiftet wurde. Mit demselben Gift wie Otto Holl! Und er starb, insofern muss ich meine erste Angabe vom Fundort korrigieren, vor ungefähr zehn Tagen. Das erklärt dann auch die weit fortgeschrittene Verwesung.«
Grede staunte: »Da haben Sie aber in der kurzen Zeit ordentlich was geleistet!«
»Ich bin allerdings noch lange nicht fertig«, wehrte Dr. Renz bescheiden ab.
»Äußerst bemerkenswert! Sein Todeszeitpunkt fällt also mit dem von Otto Holl zusammen«, musste sich auch Judith Brunner in ihren Annahmen revidieren. »Und da auch der vergiftet wurde, mit derselben Substanz sogar, können wir sicher von einer direkten Verbindung der Taten ausgehen. Und folgerichtig vom selben Täter!«
»Das würde gut zur Rachehypothese passen«, bemerkte Dr. Grede.
Judith Brunner sah, dass Dr. Renz mit diesem Hinweis nichts anfangen konnte, und berichtete ihm von der Vergewaltigung Jenny Holls, von ihren Peinigern und von ihren Rächern. »Man könnte also annehmen, dass der heute gefundene Tote der üble Saufkumpan Holls war, der damals mit beteiligt war«, sprach sie ihre Vermutung aus und bekräftigte: »Bei solchen lange zurückliegenden Verbrechen ist fast immer Rache das Motiv. Ich habe übrigens zwei Namen aus Holls Umfeld, die wir sofort abgleichen könnten.«
Betrübt sah Dr. Renz in Richtung seiner Stahltische. »Eine Identifizierung wird aber nicht ganz einfach. Es fehlen ein paar Knochen, vor allem an den Extremitäten. Fingerabdrücke gibt es daher nicht und bisher konnte ich keinerlei körperliche Besonderheiten feststellen. Ich nehme an, dass die Leiche nicht groß bewegt wurde und wir kaum noch eine Chance haben werden, verschleppte Körperteile zu finden. Doch ganz sicher bin ich mir dabei natürlich nicht.« Er fragte deshalb: »Haben Sie vielleicht schon ein paar Tatortfotos? Mich interessiert die Vegetation. Dann würde ich das genauer mit den Pflanzenteilen vergleichen können, die ich an der Leiche fand. So könnte ich wenigstens eine Umlagerung ausschließen.«
»Morgen früh haben wir entsprechende Vergrößerungen. Kommen Sie einfach in der Dienststelle vorbei«, bot Judith Brunner an.
Dr. Renz überdachte den Vorschlag und nickte. Ohne den Augenkontakt zu lösen, sprach er weiter: »Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Ahlsens und Singer damals davon ausgegangen, das Problem Holl auf ihre Art gelöst zu haben. Nun, beide sind tot. Richtig?! Durch diesen Umstand kommen sie schwerlich als dessen Mörder in Betracht. Wer hat dann den Holl umgebracht? Sein mutmaßlicher Kumpan, der in Einzelteilen dort liegt, wohl eher nicht.«
Judith Brunner wich seinem Blick nicht aus. »Sie haben völlig recht. Das ist mir bereits klar geworden. Einer Person des ganzen Dramas haben wir bisher zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt: Jenny
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