Gilbert, Elizabeth
Türeingängen, unter Brücken,
der Heimat zugewandt.
Und jetzt verfolgt er mich, fragt: »Noch nicht begriffen, Liz,
was Heimat wirklich heißt? Und wo sie liegt?«
Jedoch.
Wenn sie mich Hosen tragen ließen aus dem frisch gemähten
Gras von hier, ich tät's.
Wenn sie mich knutschen ließen
mit jedem Eukalyptusbaum in Ganeshs Hain,
ich schwör, ich würd es tun.
Tau habe ich geschwitzt in diesen Tagen, auch noch den
Bodensatz herausgeholt, das Kinn an Baumrinden gerieben, die ich hielt für das
Bein meines Herrn.
Ich komm nicht tief genug.
Wenn sie mich die Erde hier essen ließen,
serviert auf einem Vogelnesterbett,
nur halb würd ich den Teller leeren
und auf den Resten schlafen durch die Nacht.
D rittes B uch
I ndonesien oder
»Sogar in meiner Unterhose fühl ich mich anders« oder
Sechsunddreißig Geschichten über das Streben nach Harmonie
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Nie im Leben bin ich planloser irgendwo angekommen als auf
Bali. Ich weiß nicht, wo ich demnächst wohne, habe keine Ahnung, was ich tun
werde, keinen Schimmer, wie der aktuelle Umtauschkurs ist oder wie man am
Flughafen ein Taxi findet - oder auch nur, wohin mich dieses Taxi bringen
sollte. Niemand erwartet mich. Ich habe keine Freunde in Indonesien, ja nicht
einmal Freunde von Freunden. Hinzu kommt, dass mein Reiseführer hoffnungslos
veraltet ist und ich ihn noch nicht einmal gelesen habe: Mir war nicht klar,
dass ich gar keine vier Monate in Indonesien bleiben kann, selbst wenn ich es
wollte. Das erfahre ich erst bei meiner Einreise. Wie sich herausstellt,
gesteht man mir nur ein einmonatiges Touristenvisum zu. Dass die indonesische
Regierung möglicherweise nicht entzückt sein würde, mich so lange, wie es mir
beliebt, in ihrem Land aufzunehmen, war mir gar nicht in den Sinn gekommen.
Als mir der nette Beamte von der Einreisebehörde die
Aufenthaltserlaubnis für exakt dreißig Tage in den Pass stempelt, frage ich ihn
mit meiner freundlichsten Stimme, ob ich denn nicht bitte länger bleiben dürfe.
»Nein«, erwidert er in seinem ebenfalls freundlichsten
Tonfall. Die Balinesen sind berühmt für ihre Freundlichkeit.
»Ich soll drei bis vier Monate hier bleiben«, erkläre ich
ihm.
Dass es sich dabei um eine Prophezeiung handelt, dass mir
mein Aufenthalt vor zwei Jahren von einem älteren und vielleicht verrückten
balinesischen Medizinmann vorausgesagt wurde, erwähne ich nicht. Ich weiß nicht
so recht, wie ich ihm das erklären soll.
Aber was hat mir dieser Medizinmann eigentlich erzählt?
Hat er wirklich gesagt, dass ich nach Bali zurückkehren würde, um drei, vier
Monate bei ihm zu leben? Hat er tatsächlich davon gesprochen, dass ich »bei
ihm leben« solle? Oder wollte er nur, dass ich irgendwann, wenn ich mal wieder
in der Gegend wäre, bei ihm vorbeischaue und ihm noch mal zehn Dollar dafür
gebe, dass er ein zweites Mal meine Hand liest? Hat er gesagt, dass ich
wiederkommen würde oder dass ich wiederkommen soll? Hat er
wirklich gesagt: »See you later, alligatore? Oder war
es: »In a while, crocodile«?
Seit jenem Abend hatte ich keinen Kontakt mehr mit dem
Medizinmann. Hätte ja gar nicht gewusst, wie ich mich mit ihm in Verbindung
setzen soll. Wie wohl seine Adresse lautete? Medizinmann, Auf seiner Veranda,
Bali, Indonesien? Ich weiß nicht, ob er tot ist oder noch lebt. Ich erinnere
mich, dass er bei unserer Begegnung vor zwei Jahren schon ungeheuer alt
aussah; alles Mögliche kann ihm seither zugestoßen sein. Mit Sicherheit weiß
ich nur seinen Namen - Ketut Liyer - und dass er in einem Dorf in der Nähe der
Stadt Übud wohnt. An den Namen des Dorfes allerdings erinnere ich mich nicht.
Vielleicht hätte ich mir das alles doch gründlicher überlegen
sollen.
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Aber Bali ist ein Ort, an dem man sich ziemlich leicht zurechtfindet.
Schließlich bin ich nicht mitten im Sudan gelandet. Bali ist etwa so groß wie
Delaware und ein beliebtes Urlaubsziel. Die ganze Insel ist darauf eingestellt,
unsereinem - dem Westler mit den Kreditkarten - beim mühelosen Herumkommen zu
helfen. Allerorten wird munter Englisch gesprochen. (Ich fühle mich daher
gleichzeitig erleichtert und ein bisschen schuldig. Meine Bemühungen,
Italienisch und Sanskrit zu lernen, haben meine Hirnsynapsen in den letzten
Monaten derartig strapaziert, dass ich kaum noch imstande wäre, Indonesisch
oder gar Balinesisch zu lernen, eine Sprache, fremdartiger und komplizierter
als Marsianisch.) Der Aufenthalt hier ist also wirklich
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