Gilbert, Elizabeth
und gestehen,
dass ich nur drei Nachmittage in der örtlichen Bibliothek recherchieren
musste, um festzustellen, dass meine Vorstellungen vom balinesischen Paradies
ein bisschen töricht waren. Nach meinem ersten Besuch auf Bali vor zwei Jahren
hatte ich allen möglichen Leuten erzählt, dass dieses Eiland die einzige wahre
Utopie der Welt sei, ein Ort, der immer nur Frieden, Harmonie und Gleichgewicht
gekannt habe. Ein perfekter Garten Eden ohne irgendeine Geschichte der Gewalt
und des Blutvergießens. Ich weiß nicht, woher ich diese Vorstellung hatte, aber
ich war völlig davon überzeugt.
»Sogar die Polizisten tragen Blumen im Haar«, sagte ich
dann, als ob das etwas beweisen würde.
Vielleicht sollte man mir diese irrige Meinung über die
ach so friedlichen Balinesen nachsehen, da die Welt nun einmal beschlossen hat,
dieses Inselvolk trotz gegenteiliger Beweise auf eine solche Rolle festzulegen.
Im vorigen Jahrhundert hat sich Bali in der Vorstellung des Westens zu einem
Sinnbild für das Paradies entwickelt. Diese lächelnden Menschen, ihre sanfte
Art, ihre angeborene Liebe zur Kunst, ihre scheinbar vollkommene Balance
zwischen weltlichem Vergnügen und spiritueller Hingabe - all das beeindruckte
die Europäer, als sie um 1920 mit den
ersten großen Dampfschiffen kamen und die ersten Blicke auf die barbusigen
honigbraunen jungen Frauen erhaschten, die mit den schönen Knaben in den
Hindutempeln tanzten.
In Wirklichkeit aber hat Bali eine genauso blutige Geschichte
wie jeder andere Ort der Erde, an dem je Menschen gelebt haben. Als die Javaner
im sechzehnten Jahrhundert hier einwanderten, begründeten sie im Wesentlichen
eine feudale Herrschaft mit einem strikten Kastensystem, das - wie jedes
Kastensystem - dazu neigte, sich um die Menschen ganz unten keine Gedanken zu
machen. Motor der Ökonomie war ein lukrativer Sklavenhandel (der der
europäischen Beteiligung am internationalen Sklavenhandel nicht nur um mehrere
Jahrhunderte vorausging, sondern Europas Handel mit Menschen auch noch eine
geraume Zeit überlebte). Die Insel selbst befand sich fortwährend im
Kriegszustand, da rivalisierende Könige sich permanent gegenseitig angriffen.
Bis ins späte neunzehnte Jahrhundert waren die Balinesen bei Händlern und
Seeleuten als brutale Kämpfer verrufen. (Das balinesische Wort amok, das wir in
der Redewendung »Amok laufen« verwenden, bezeichnet eine Kampftechnik, bei der
man plötzlich mit wahnsinniger Wildheit in selbstmörderischem und blutigem
Zweikampf auf seine Feinde losgeht; die Europäer waren über diese Praxis
schlichtweg entsetzt.) Mit einer disziplinierten Armee von dreißigtausend Mann
besiegten die Balinesen die holländischen Invasoren 1848, 1849 und noch einmal i 8 jo . Zum
Zusammenbruch unter holländischer Herrschaft kam es erst, als Balis
rivalisierende Könige sich in ihrer Machtgier gegenseitig verrieten oder sich
gegen die Zusicherung profitabler Geschäftsabschlüsse mit dem Feind
verbündeten. Wenn man also heute die Geschichte des Landes in einen
Paradiestraum hüllt, spricht das jeder Realität höhn.
Als in den zwanziger und dreißiger Jahren eine elitäre
Klasse westlicher Reisender Bali entdeckte, ignorierte sie all das
Abscheuliche. Die Neuankömmlinge waren sich einig, dass dies wahrhaftig die
»Insel der Götter« sei, wo »jeder Künstler ist« und die Menschheit im Zustand
ungetrübter Seligkeit lebe. Eine Idee, ein Traum, der lange nachklang; die
meisten Bali-Besucher (mich selbst auf meinem ersten Trip eingeschlossen)
glauben noch heute daran. »Ich haderte mit Gott, weil ich nicht als Balinese
auf die Welt gekommen war«, sagte der deutsche Fotograf Georg Krauser, nachdem
er in den dreißiger Jahren Bali besucht hatte. Angelockt von Berichten über überirdische
Schönheit und Gelassenheit, kamen Künstler wie Walter Spies, Schriftsteller
wie Noel Coward, Tänzerinnen wie Ciaire Holt, Schauspieler wie Charlie
Chaplin, Wissenschaftlerinnen wie Margaret Mead. (Letztere bezeichnete die
balinesische Kultur trotz all der nackten Brüste als das, was sie wirklich war:
eine Gesellschaft so prüde wie das viktorianische England. »Kein Gramm freier
Libido ... in der ganzen Kultur.«)
In den vierziger Jahren, als die Welt in den Krieg zog,
war die Party vorbei. Die Japaner marschierten in Niederländisch-Ostindien ein,
und die seligen Europäer in ihren balinesischen Gärten und mit ihren hübschen
Hausboys mussten fliehen. Im anschließenden Ringen um die Unabhängigkeit
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