Gilbert, Elizabeth
meines täglichen
Lebens gehen jetzt fürs Schmökern im Garten drauf. Nach der Intensität des
Ashram-Lebens und auch nach den dekadenten Spritztouren kreuz und quer durch
Italien, als ich alles aß, was mir unter die Finger kam, ist die Ruhe auf Bali
eine echte Abwechslung. Ich habe hier massenhaft - um nicht zu sagen
tonnenweise - Zeit.
Wann immer ich das Hotel verlasse, erkundigen sich Mario
und die anderen Angestellten an der Rezeption, wohin ich gehe, und jedes Mal,
wenn ich wiederkomme, fragen sie mich, wo ich war. Ich kann mir lebhaft
vorstellen, wie sie winzige Landkarten für all ihre lieben Gäste in der Schublade
haben, mit Kreuzchen, die anzeigen, wo diese sich jeweils gerade befinden.
Am Abend radle ich hinauf in die Hügel, vorbei an den
Reisterrassen nördlich von Übud, wo man so fabelhafte Ausblicke auf die grüne
Landschaft hat. Ich sehe die rosa Wolken, die sich im stehenden Wasser der
Reisfelder spiegeln, als gäbe es zwei Himmel - einen oben für die Götter und
einen unten in der schlammigen Feuchte nur für uns Sterbliche. Vor zwei Tagen
radelte ich zum Reiher-Heiligtum mit seinem unfreundlichen Begrüßungsschild
(»Okay, hier können Sie Reiher sehen«), aber an dem Tag waren keine Reiher da,
nur Enten, so dass ich ihnen eine Weile zusah und dann ins nächste Dorf fuhr.
Unterwegs begegnete ich Männern und Frauen, Kindern, Hühnern und Hunden, die
alle auf ihre Art sehr beschäftigt waren, keiner allerdings so beschäftigt,
dass er mich nicht gegrüßt hätte.
Vor wenigen Abenden sah ich am oberen Ende eines einmalig
schönen Waldhangs ein Schild: »Künstlerhaus mit Küche zu vermieten.« Und weil
das Universum großzügig ist, wohne ich drei Tage später hier. Mario hat mir
beim Einzug geholfen, und all seine Freunde im Hotel haben sich tränenreich
von mir verabschiedet.
Mein neues Haus liegt an einer ruhigen Straße und ist von
Reisfeldern umgeben. Es ähnelt einem Cottage. Es gehört einer Engländerin, die
allerdings den Sommer in London verbringt, so dass ich mich in ihr Heim stehle
und an diesem herrlichen Ort ihren Platz einnehme. Es gibt eine leuchtend rote
Küche, einen Teich voller Goldfische, eine Marmorterrasse und eine
Freiluftdusche mit schimmernden Mosaiken (während ich mich einseife, kann ich
die in den Palmen nistenden Reiher beobachten). Kleine versteckte Pfade führen
durch einen wahrhaft bezaubernden Garten. Das Haus wird inklusive Gärtner
vermietet, so dass ich nichts weiter zu tun habe, als die Blumen zu betrachten.
Ich habe keine Ahnung, wie all diese ungewöhnlichen tropischen Blumen heißen,
so dass ich mir Namen für sie ausdenke - warum auch nicht? Schließlich ist das
jetzt mein Garten Eden, nicht wahr? Bald habe ich allen Pflanzen neue
Friedrichwilhelms verpasst: Narzissenbaum, Kohlpalme, Petticoat-Kraut,
Spiralenprotz, Zehenspitzenblüte, Trauerrebe, und eine spektakuläre
pink-farbene Orchidee habe ich »Babys erster Händedruck« getauft. Die
übertriebene und verschwenderische Fülle an reiner Schönheit hier ist
unfassbar. Ich kann Papayas und Bananen direkt von den Bäumen vor meinem Schlafzimmerfenster
pflücken. Es wohnt auch ein Kater hier, der jeden Tag in der halben Stunde,
bevor ich ihn füttere, ungeheuer um mich herumschwänzelt, aber den Rest der
Zeit wie verrückt maunzt, als litte er unter Flashbacks an den Vietnamkrieg.
Komischerweise macht mir das nichts aus. Mich stört rein gar nichts in diesen
Tagen. Unzufriedenheit ist mir weder erinnerlich noch überhaupt vorstellbar.
Die Klangwelt hier ist spektakulär. An den Abenden spielt
ein Grillenorchester auf, zu dem die Frösche die Bassstimme beisteuern. Vor der
Morgendämmerung verkünden die Hähne in meilenweitem Umkreis, wie wahnsinnig
cool es ist, ein Gockel zu sein. Jeden Morgen kurz vor Sonnenaufgang findet
ein Vogelgesangswettbewerb statt, und jedes Mal enden die Meisterschaften mit
einem Unentschieden. Wenn die Sonne dann aufgeht, wird es stiller, und die
Schmetterlinge machen sich an die Arbeit. Das ganze Haus ist mit Kletterpflanzen
überwuchert; und ich habe das Gefühl, als würde es demnächst vollends unterm
Laubwerk verschwinden und ich mit ihm, so dass ich schließlich selbst zur
Dschungelblüte würde. Die Miete kostet mich weniger, als ich in New York
monatlich für Taxis berappe.
Das aus dem Persischen stammende Wort »Paradies« heißt
übrigens, wenn man es wörtlich übersetzt, »ummauerter Garten«.
80
An dieser Stelle muss ich allerdings Farbe bekennen
Weitere Kostenlose Bücher