Gilbert, Elizabeth
Vernunft
zu hören. (Hallo, pretty power!) Inzwischen
ist sie Chefin eines multinationalen Unternehmens namens Novica, das überall
auf der Welt Künstler unterstützt, indem es ihre Werke übers Internet
verkauft. Sie spricht sieben oder acht Sprachen. Und trägt die tollsten
Schuhe, die ich seit Rom gesehen habe.
Wayan betrachtete uns beide und meinte: »Liz, warum du
versuchst nie, sexy auszusehen - wie Armenia? Du bist so hübsche Mädchen, hast
gute Kapital, hübsche Gesicht, hübsche Körper, hübsche Lächeln. Aber immer du
hast selbe kaputte T-Shirt an, selbe kaputte Jeans. Willst du nicht sexy sein,
wie Armenia?«
»Wayan«, sagte ich. »Armenia ist Brasilianerin. Das ist
was völlig anderes.«
»Wie anderes?«
»Armenia«, sagte ich und wandte mich meiner neuen Freundin
zu. »Könntest du Wayan bitte erklären, was es heißt, Brasilianerin zu sein?«
Armenia lachte, schien dann jedoch ernsthaft darüber
nachzudenken und erwiderte: »Na ja, ich habe mich immer bemüht, adrett
auszusehen und feminin zu wirken, sogar in den mittelamerikanischen
Kriegsgebieten und Flüchtlingslagern. Auch inmitten der schlimmsten Tragödien
und Krisen gibt es keinen Grund, erbärmlich auszusehen. Das ist meine
Philosophie. Und deswegen habe ich auch im Dschungel immer Make-up aufgelegt
und Schmuck getragen. Gerade genug, um zu zeigen, dass ich mich nicht gehen
lasse.«
In gewisser Weise erinnert mich Armenia an die großen
britischen Ladys der viktorianischen Epoche, die zu sagen pflegten, es gebe
keinen Grund, in Afrika Kleider zu tragen, die nicht auch in einem englischen
Salon angemessen wären.
Sie ist ein Schmetterling, diese Armenia. Und sie konnte
nicht allzu lange bleiben, weil sie zu tun hatte, was sie jedoch nicht davon
abhielt, mich zu einer Party einzuladen. Sie kenne noch einen anderen
Auslandsbrasilianer hier in Übud, erzählte sie mir, der heute Abend zu einer
Feier in ein hübsches Restaurant eingeladen habe. Er werde feijoada kochen,
ein traditionelles brasilianisches Gericht, das aus gewaltigen Mengen
Schweinefleisch und schwarzen Bohnen besteht. Es würden auch brasilianische
Cocktails herumgereicht werden. Und viele interessante Ausländer aus der
ganzen Welt, die hier auf Bali leben, seien eingeladen. Ob ich denn nicht Lust
hätte zu kommen? Später würden sie vielleicht alle noch tanzen gehen. Sie wisse
ja nicht, ob ich Partys möge, aber ...
Cocktails? Tanzen? Unmengen von Schweinefleisch?
Natürlich komme ich.
89
Ich wusste nicht mehr, wann ich mich das letzte Mal schön
gemacht hatte, an diesem Abend aber holte ich mein einziges schickes
Spaghettiträgerkleid aus den Tiefen meines Rucksacks hervor und schlüpfte
hinein. Auch Lippenstift legte ich auf. Wann ich das zum letzten Mal getan
hatte, wusste ich gleichfalls nicht mehr, nur dass es lange vor Indien gewesen
sein musste. Auf dem Weg zur Party schaute ich bei Armenia vorbei, die mich mit
etwas Modeschmuck garnierte, mir ihr elegantes Parfüm lieh und mich mein Fahrrad
im Hinterhof deponieren ließ, so dass ich wie eine ganz normale erwachsene Frau
in ihrem tollen Wagen vorfuhr.
Das Essen mit den Ausländern machte einen Riesenspaß, und
mir war, als würden diverse, seit langem schlummernde Aspekte meiner
Persönlichkeit wieder erwachen. Ich betrank mich sogar ein wenig - was nach
all den Monaten der Enthaltsamkeit im Ashram und dem vielen Teetrinken in
meinem balinesischen Blumengarten schon einigermaßen erstaunlich war. Und ich
flirtete! Schon seit Ewigkeiten hatte ich nicht mehr geflirtet, denn in letzter
Zeit war ich nur noch unter Mönchen und Medizinmännern gewesen. Plötzlich aber
versprühte ich wieder den alten Sexappeal. Obwohl ich im Grunde nicht sagen
konnte, mit wem ich da eigentlich flirtete. Ich verteilte meinen Charme
gleichmäßig um mich herum. Fühlte ich mich etwa von dem witzigen australischen
Ex-Journalisten angezogen, der neben mir saß? (»Wir sind alle Säufer hier«,
spöttelte er. »Und schreiben Empfehlungen für andere
Säufer.«) Oder war es der stille intellektuelle Deutsche weiter unten am
Tisch? (Er versprach, mir Romane aus seiner Privatbibliothek zu leihen.) Oder
war es der attraktive ältere Brasilianer namens Felipe, der dieses gigantische
Festmahl zubereitet hatte? Seine freundlichen braunen Augen und sein Akzent
gefielen mir. Und seine Küche natürlich auch. Ganz aus heiterem Himmel sagte
ich etwas sehr Provozierendes zu ihm. Selbstironisch hatte er gemeint: »Als
Brasilianer bin ich
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