Gilbert, Elizabeth
kein Telefon, aber eine E-Mail-Adresse hätte. Daraufhin meinte
er: »Ja, aber E-Mail ist so ... iih ...« Also gab es am Ende unserer gemeinsam
verbrachten Nacht nichts als eine Umarmung. »Wir sehen uns wieder ..., wenn sie es wollen«,
meinte er noch und deutete auf die Götter droben im Himmel.
Kurz vor Tagesanbruch bot mir Felipe an, mich nach Hause
zu bringen. Als wir die gewundenen Seitensträßchen hinauffuhren, sagte er:
»Darling, du hast dich die ganze Nacht mit dem größten Quatschkopf von ganz Übud
unterhalten.«
Mein Mut sank.
»Ist er das wirklich?«, fragte ich. »Sag mir lieber gleich
die Wahrheit.«
»Ian?«, fragte Felipe. Er lachte. »Nein, Darling! Ian ist
ein stocksolider Bursche. Guter Kerl. Ich habe mich gemeint. Ich bin der
größte Quatschkopf von Übud.«
Schweigend fuhren wir weiter.
»Außerdem nehm ich dich sowieso nur auf die Schippe«,
fügte er hinzu.
Dann schwiegen wir wieder lange, und er fragte: »Du magst
Ian, oder?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. Mein Verstand war getrübt.
Ich hatte zu viele brasilianische Cocktails getrunken. »Er ist attraktiv,
intelligent. Es ist lange her, seit ich mir über so was Gedanken gemacht habe.«
»Du wirst ein paar herrliche Monate hier auf Bali verleben.
Warte nur ab.«
»Aber ich weiß nicht mal, wie oft ich noch ausgehen kann,
Felipe. Ich habe nur dieses eine Kleid dabei. Irgendwann wird es den Leuten
auffallen, dass ich immer dasselbe anhabe.«
»Du bist jung und schön, Darling. Du brauchst nur dieses
eine Kleid.«
90
Bin ich jung und schön?
Ich dachte, ich sei alt und geschieden.
In dieser Nacht kann ich lange nicht einschlafen, da die
Stunde so ungewohnt für mich ist, mir noch immer die Tanzmusik im Schädel
dröhnt, das Haar nach Zigaretten stinkt, der Magen gegen den Alkohol revoltiert.
Ich döse ein wenig und erwache, wie gewohnt, bei Sonnenaufgang. Nur bin ich an
diesem Morgen weder ausgeruht noch ruhig noch gelassen, noch auch nur
annähernd in der Lage zu meditieren. Warum bin ich bloß so aufgeregt? Ich hatte
einen netten Abend, oder? Hab ein paar interessante Leute getroffen, mich
schick gemacht, ein bisschen getanzt, mit ein paar interessanten Männern
geflirtet...
Männern.
Als ich das Wort ausspreche, wird die Unruhe heftiger, steigert
sich zu einer kleineren Panikattacke. Als Teenager und in meinen Zwanzigern war
ich eine der größten, schamlosesten Verführerinnen. Ich meine mich zu
erinnern, dass es mir einst Spaß gemacht hat, einen Typen kennen zu lernen, ihn
an mich zu ziehen, verschleierte Einladungen auszusprechen und ihn zu
provozieren, alle Vorsicht in den Wind zu schlagen und die Folgen in Kauf zu
nehmen.
Doch jetzt habe ich schreckliche Angst. Ich beginne den
Abend überzubewerten, stelle mir vor, mich mit diesem Schotten einzulassen, der
mir nicht mal seine E-Mail-Adresse geben wollte. Schon jetzt blicke ich weit
in unsere Zukunft voraus, bis hin zu den Streitereien über seine Nikotinsucht.
Ich frage mich, ob ich mich mit ihm einlassen oder lieber allein und
selbstständig bleiben sollte? Ob die Beziehung zu einem Mann aufs Neue mein
Schreiben, mein Leben und so weiter ruinieren wird? Andererseits wäre eine
kleine Romanze natürlich schön. Ich habe eine lange Trockenzeit hinter mir.
(Richard aus Texas hat mir im Hinblick auf mein Liebesleben einmal geraten:
»Du musst dir einen Regenmacher suchen,
Baby«) Dann stelle ich mir Ian vor, mit seinem attraktiven Körper, wie er auf
seinem Motorrad herübergedüst kommt, um in meinem Garten Liebe mit mir zu
machen. Dieser doch gar nicht so unangenehme Gedanke aber bringt mich furchtbar
ins Schleudern. Wieder einen Mann mit meinem Körper, meiner Familie, meinen
Gefühlen, meinem Bett und meinem Leben bekannt zu machen, dazu fehlt mir sowohl
die Energie als auch der Mut. Und plötzlich vermisse ich David so sehr wie
schon seit Monaten nicht mehr und denke: Vielleicht sollte ich ihn anrufen und
mal nachfühlen, ob er es nicht doch noch einmal mit mir probieren will ... (Und
dann empfange ich eine Channeling-Botschaft von meinem Freund Richard aus
Texas, die den Nagel auf den Kopf trifft: Oh, das
ist ja genial, Groceries - du hattest ges tern nicht nur einen Schwips,
sondern hast dir offenbar auch noch das Hirn amputieren lassen.) Vom
Grübeln über David ist es nie weit bis zum Wiederkäuen meiner Scheidung und
allem, was dazugehört, und im Nu wandern meine Gedanken zu meinem Exmann ...
Ich dachte, damit wären wir durch, Groceries.
Und
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