Gilbert, Elizabeth
tragen zu lassen.)
Danach schlendere ich am Tiber entlang bis hinunter zur
Tiberinsel, die einer meiner Lieblingsorte in Rom ist. Diese Insel war stets
mit der Heilung von Kranken verbunden. Nach einer Pestepidemie wurde hier im
Jahre 291 vor Christus ein Äskulaptempel errichtet; im Mittelalter gründete
eine Gruppe von Mönchen, die man Fatebenefrateili nannte
(die Do-Good-Brothers), ein Spital; und ein Krankenhaus
gibt es auf der Insel bis auf den heutigen Tag.
Ich laufe weiter in Richtung Trastevere - dem Viertel, das
für sich in Anspruch nimmt, von den waschechtesten Römern bewohnt zu sein. Ich
esse in einer ruhigen Trattoria zu Mittag und bleibe stundenlang sitzen, weil
einen in Trastevere, wenn einem der Sinn danach steht, niemand davon abhält.
Ich bestelle eine Auswahl an bruschette, Spaghetti cacio e
pepe (ein schlichtes römisches Nudelgericht, das mit Käse und
Pfeffer serviert wird) und danach ein Brathähnchen, das ich mir mit dem
herrenlosen Hund teile, der mich beim Essen beobachtet hat, wie es nur ein
herrenloser Hund fertig bringt.
Dann überquere ich wieder den Tiber und schlendere durch
das ehemalige jüdische Ghetto, ein Ort des Jammers und der Tränen, der
Jahrhunderte überdauerte, bis er schließlich von den Nazis geräumt wurde. Ich
wende mich nach Norden, überquere die Piazza Navona mit ihrem Mammutbrunnen zu
Ehren der vier großen Flüsse der Erde (zu denen sich stolz, wenn auch völlig
unzutreffend, der träge Tiber zählt). Dann werfe ich einen Blick ins Pantheon.
Seit ich in Rom bin, nutze ich - immerhin - jede Gelegenheit, mir das Pantheon
anzusehen, da ein altes Sprichwort behauptet, dass »ein Esel ist und bleibt«,
wer in Rom war und das Pantheon nicht gesehen hat.
Auf dem Heimweg mache ich noch einen kleinen Abstecher
und bleibe vor der für mich am meisten befremdenden römischen Adresse stehen -
dem Augustusmausoleum. Dieses große, runde Monument erbaute Augustus einst als
Grabstätte, auf dass es für alle Zeiten seine sterblichen Überreste und die
seiner Familie beherberge. Für den Imperator muss es damals unvorstellbar
gewesen sein, dass Rom je etwas anderes als die Hauptstadt eines mächtigen
Imperiums sein könne. Wie hätte er auch den Zusammenbruch seines Reiches
vorhersehen sollen? Oder wissen können, dass seine Stadt - nachdem die
Barbaren alle Wasserleitungen zerstört und alle großen Straßen dem Verfall
preisgegeben hatten - verwaisen und es fast zwanzig Jahrhunderte dauern würde,
bis sie wieder so viele Einwohner hatte wie auf der Höhe ihrer Macht?
In der Spätantike verfiel das Mausoleum und war zahllosen
Plünderungen ausgesetzt. Irgendjemand stahl die Asche des Imperators - wer es
war, weiß niemand zu sagen. Im zwölften Jahrhundert allerdings wurde das
Grabmal zur Festung umgebaut und diente der mächtigen Familie Colonna zum
Schutz vor Angriffen verschiedener feindlicher Fürsten. Später verwandelte sich
das Mausoleum in einen Weinberg, dann in einen Renaissancegarten, in eine Stierkampfarena,
ein Munitionsdepot, eine Konzerthalle. In den dreißiger Jahren ließ Mussolini
das Monument beschlagnahmen und restaurieren, auf dass es eines Tages als
letzte Ruhestätte für seine eigenen sterblichen Überreste diene.
Doch weder währte die Ära Mussolini sehr lange, noch erhielt
er ein imperiales Begräbnis.
Heute ist das Augustusmausoleum einer der stillsten und
einsamsten Orte Roms, zur Hälfte in der Erde versunken. Im Lauf der
Jahrhunderte ist die Stadt ringsum in die Höhe gewachsen (zwei Zentimeter pro
Jahr, so lautet die Daumenregel). Der Verkehr flutet um das Monument herum,
und kaum einer geht jemals die Stufen hinunter, es sei denn, um die verborgenen
Winkel als öffentliche Toilette zu benutzen.
Irgendwie finde ich die Unverwüstlichkeit des Augustusmausoleums
ungeheuer tröstlich, die wechselvolle Karriere dieses Baus, dessen Verwendung
stets dem Wahnsinn der jeweiligen Zeit entsprach. Mir erscheint das
Augustusmausoleum wie ein Mensch, der ein völlig verrücktes Leben geführt hat
- vielleicht als Hausfrau begann, dann unerwartet Witwe wurde, als Nächstes, um
sich durchzubringen, aufs Tanzen verfiel, schließlich als erste Zahnärztin im
Weltraum um die Erde kreiste, um sich zuletzt noch als Politikerin zu versuchen
- es jedoch stets schaffte, sich ein intaktes Selbstwertgefühl zu bewahren.
Ich blicke auf das antike Monument und denke, dass mein
Leben vielleicht doch nicht so chaotisch war. Chaotisch ist nur diese Welt, die
bei uns
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