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Gilbert, Elizabeth

Gilbert, Elizabeth

Titel: Gilbert, Elizabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Love Pray Eat
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nämlich 1885. Meinem
Führer zufolge waren die Frauen, die für die Nymphen Modell saßen, ein Schwesternpaar
und populäre Variete-Tänzerinnen ihrer Zeit. Nach Fertigstellung des Brunnens
gelangten sie zu zweifelhaftem Ruhm, denn monatelang versuchte die Kirche, die
Enthüllung des Kunstwerks zu verhindern, weil es ihrer Ansicht nach zu
pornografisch war. Die Schwestern aber wurden ziemlich alt, und noch in den
zwanziger Jahren konnte man die beiden alten Damen jeden Tag zur Piazza
spazieren sehen, um einen Blick auf »ihren« Brunnen zu werfen. Und einmal in
jedem Jahr kam der französische Bildhauer, der die beiden Schwestern in der
Blüte ihrer Jugend in Marmor verewigt hatte, nach Rom und führte sie zum
Mittagessen aus, wo sie gewiss in gemeinsamen Erinnerungen schwelgten und der
Tage gedachten, als sie noch so jung und schön und wild waren.
    Giovanni parkt also dort und wartet darauf, dass ich mich
wieder fange. Ich kann nur meine Handballen auf die Augen pressen und
versuchen, die Tränen zurückzuhalten. Noch nie haben wir ein persönliches
Gespräch miteinander geführt, Giovanni und ich. In all diesen Wochen, bei all
den gemeinsamen Abendessen haben wir immer nur über Kunst und Philosophie,
Politik, Kultur und Essen gesprochen. Wir wissen nichts voneinander. Er weiß
nicht einmal, dass ich geschieden bin und in Amerika eine Liebe zurückgelassen
habe. Ich weiß nichts über ihn, außer dass er Schriftsteller werden will und in
Neapel geboren ist. Jetzt aber sind meine Tränen im Begriff, eine völlig neue
Dimension zu eröffnen. Ich wünschte, sie täten es nicht. Nicht unter diesen
scheußlichen Umständen.
    »Tut mir Leid«, sagt er, »aber ich verstehe nicht. Ist dir
heute etwas Schlimmes zugestoßen?«
    Aber ich kann immer noch nicht reden, weiß einfach nicht,
wie. Giovanni lächelt und meint ermutigend: »Paria come
mangi. « Er weiß, dass dieser römische Spruch eine meiner
Lieblingsredensarten ist, und will damit sagen: »Sprich, wie du isst«, oder in
meiner persönlichen Übersetzung: »Sag's, als würdest du's essen.« Wenn man sich
mordsmäßig anstrengt, etwas zu erklären, und nach den passenden Worten ringt,
ist es eine Mahnung daran, sich so unkompliziert auszudrücken, wie man einen
Teller Nudeln verspeist. Also mach kein Riesending daraus. Stell es einfach auf
den Tisch.
    Ich hole tief Luft und liefere ihm eine stark gekürzte
(aber dennoch irgendwie durchaus vollständige) Zusammenfassung meiner
persönlichen Lage in italienischer Sprache: »Es geht um eine Liebesgeschichte,
Giovanni. Ich hab mich heute von jemandem verabschieden müssen.«
    Dann schlage ich wieder die Hände vors Gesicht, und die
Tränen rinnen mir durch die zusammengepressten Finger. Gott sei Dank versucht
Giovanni weder, mich zu trösten oder in den Arm zu nehmen, noch äußert er das
geringste Unbehagen über meinen Tränenausbruch. Stattdessen bleibt er
schweigend sitzen, bis ich mich wieder beruhigt habe. Um dann mit
bewundernswerter Einfühlungsgabe, jedes seiner Worte mit Bedacht wählend (als
seine Englischlehrerin bin ich an diesem Abend besonders stolz auf ihn!),
langsam, klar und warmherzig zu sagen: »Ich versteh dich, Liz. Da war ich auch
schon.«
     
    29
     
    Die Ankunft meiner Schwester Catherine in Rom einige Tage
später trug dazu bei, mich aus meinen wehmütigen Gedanken an David
herauszureißen und wieder auf Touren zu bringen. Meine Schwester legt in allem,
was sie tut, Tempo vor, und ihre Energie wirbelt in kleinen Zyklonen um sie
herum. Catherine ist drei Jahre älter als ich und knapp acht Zentimeter größer.
Sie ist Sportlerin, Wissenschaftlerin und Mutter. Während ihres gesamten
Romaufenthalts hat sie für einen Marathon trainiert, stand also schon vor
Tagesanbruch auf und war in der Zeit, die ich im Allgemeinen benötige, um einen
Zeitungsartikel zu lesen und zwei Cappuccini zu trinken, bereits achtzehn
Meilen gerannt. Wenn sie rennt, sieht sie übrigens aus wie ein Reh. Als sie mit
ihrem ersten Kind schwanger war, durchschwamm sie mal im Dunkeln einen ganzen
See. Ich dagegen wollte nicht mitschwimmen, obwohl ich nicht mal schwanger
war. Ich hatte zu große Muffe. Angst kennt meine Schwester im Grunde nicht.
Als sie mit ihrem zweiten Kind schwanger war, fragte die Hebamme sie einmal,
ob sie irgendwelche unausgesprochenen Befürchtungen habe, Ängste in Bezug auf
das Baby - wie etwa genetische Defekte oder Komplikationen während der Geburt.
Catherine antwortete: »Meine einzige Angst

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